Was fehlt in Lehrbüchern der Psychotherapie?

Einleitung

Heute ist es üblich, dass vielfach Podcasts zu psychologischen Themen gehört werden, in denen immer wieder die gleichen guten Tipps zur kognitiven Umstrukturierung angeboten werden. Psychotherapeuten lesen zu Ausbildungszwecken und zur Weiterbildung zwar meist Fachbücher, aus denen man aber für die psychotherapeutische Arbeit nur begrenzten Nutzen ziehen kann, weil sie die Stoffe nur schematisch und deshalb verkürzt behandeln. Aus Erfahrungen in der Supervision ist mir deutlich geworden: Leider wird die Erkenntnis zu wenig genutzt, dass gerade angehende Psychotherapeuten aus Werken der Musik, der Kunst und der Belletristik wertvolle Einsichten gewinnen können, die oft in Lehrbüchern fehlen. Diese kreativen Quellen bieten eine tiefere und oft emotionalere Erkundung der menschlichen Erfahrung und intrapsychische bzw. zwischenmenschliche Konflikte, als kognitiv aufbereitete Medien. Vergleiche hierzu auch den Beitrag: Chancen der Supervision.

Folgende Aspekte können angehende Psychotherapeuten vertiefen, wenn sie versuchen, sich aus Werken der Musik, der Kunst und der Literatur anregen zu lassen:

Kunstwerke behandeln die Komplexität menschlicher Emotionen und Erfahrungen

Kunstwerke und literarische Werke bringen oft auf sehr anschaulich-sinnliche Weise die vielschichtigen und widersprüchlichen Aspekte menschlicher Gefühle und Gedanken zum Ausdruck.
In der Belletristik werden meist die feinen Nuancen und Übergänge zwischen verschiedenen emotionalen Zuständen viel besser dargestellt, die in Lehrbüchern oft vereinfacht und zu theorielastig beschrieben werden.

Kunstwerke bieten Beispiele für Empathie und Perspektivenwechsel

Durch das Eintauchen in die Geschichten und Charaktere der Belletristik können Therapeuten ihre Fähigkeit zur Empathie verbessern. Kunst und Literatur ermöglichen es, die Welt aus den Augen verschiedener Personen zu sehen, was zu einem besseren Verständnis für die Vielfalt menschlicher Perspektiven führt.

Kunstwerke zeigen Beispiele für Kreativität hinsichtlich verschiedener Ausdrucksformen

Kunstwerke zeigen, wie Menschen kreative Wege finden, um ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken.
Literarische Werke nutzen oft Symbolik und Metaphern, um tiefere psychologische Einsichten zu vermitteln, die über die wörtliche Bedeutung hinausgehen.

Kunstwerke bieten Einblicke in kulturelle und historische Kontexte

Kunst und Literatur reflektieren auch sehr anschaulich den Zeitgeist und die sozialen Normen ihrer jeweiligen Epochen, was ein tieferes Verständnis für die kulturellen und historischen Hintergründe von konflikthaftem psychischen Erleben und psychischen Reaktionen ermöglicht. Sie bieten Einblicke in unterschiedliche kulturelle Perspektiven und Normen, was wichtig für das Verständnis von Patienten mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen ist.

Kunstwerke behandeln existenzielle Fragen und menschliche Grundthemen

Viele Kunstwerke und literarische Texte beschäftigen sich mit existenziellen Fragen wie dem Sinn des Lebens, Tod, Liebe und Identität, behandeln Gefühle wie Trauer, Wut, Verzweiflung, Sehnsucht und Stolz. Sie bieten komplexe Erkundungen von Lebenskrisen und den Bewältigungsstrategien der Protagonisten, was Therapeuten Inspirationen für neue Ansätze in der Behandlung bieten kann.

Kunstwerke sind eine unerschöpfliche Quelle für Narrative und Storytelling

Kunstwerke und Literatur betonen die Bedeutung von Narrativen und Geschichten für die Verarbeitung konflikthaften Erlebens, was direkt in therapeutische Ansätze wie die narrative Therapie, das Konzept vom Patienten als Erzähler, einfließen kann. Die Struktur von Geschichten kann Therapeuten helfen, die Lebensgeschichten ihrer Patienten besser zu verstehen und ihnen zu helfen, ihre eigenen Erzählungen zu rekonstruieren. Vergleiche hierzu auch den Beitrag: Berichten, Erzählen und freie Assoziation.

Hier einige Beispiele für Werke, die man als angehender Psychotherapeut kennen sollte, zumindest teilweise.

Dramen
William Shakespeare: Hamlet, Macbeth
J.W. v. Goethe: Faust.
Georg Büchner: Woyzeck,
Tennessee Williams, Endstation Sehnsucht, Die Glasmenagerie
Friedrich Schiller: Don Carlos
Berthold Brecht: Die Kleinbürgerhochzeit (1919), Baal (1918-1923)
Peter Weiss: Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats (1964)

Lyrik
Andreas Gryphius: Es ist alles eitel
Paul Celan: Todesfuge
J. W. v. Goethe: Der Erlkönig, Der Zauberlehrling, Der Fischer
Friedrich Schiller: Die Bürgschaft
Friedrich Hölderlin: Hyperions Schicksalslied, Hälfte des Lebens,
Friedrich Nietzsche: Vereinsamt
Berthold Brecht: Der Choral vom großen Baal (1923). An die Nachgeborenen (1934 – 1938)
Joseph v. Eichendorff: Mondnacht (1837 )

Romane, Erzählungen, Novellen
Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer.
F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby
Gustave Flaubert, Erziehung des Gefühls, Madame Bovary
Heinrich v. Kleist, Michael Kohlhaas
Mary Shelley: Frankenstein
R. L. Stevenson: Die wundersame Geschichte von Dr Jekyll und Mr. Hyde
Fjodor Dostojewski: Die Sanfte, Schuld und Sühne, Die Brüder Karamasow, Der Spieler
Margaret Mitchell: Vom Wind verweht.
Thomas Mann: Der Tod in Venedig, Zauberberg, Doktor Faustus,
Leo Tolstoi: Krieg und Frieden, Anna Karenina, Auferstehung.
Homer: Odyssee
Wladimir Nabokov: Lolita
Georg Büchner: Lenz,
Franz Kafka: Die Verwandlung (1915), Ein Landarzt (1918), Bericht an eine Akademie (1917), Auf der Galerie (1919), Der Prozess (1925), Der Bau (1928)
Iwan Turgenew: Väter und Söhne
J.W. v. Goethe: Die Leiden des jungen Werther, Die Wahlverwandtschaften
Tom Wolfe: Fegefeuer der Eitelkeiten
Pearl S. Buck: Die gute Erde (1931)
Anais Nin: Henry, June und ich. (1966)
Patrick Süskind: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders (1985)
Sommerset Maugham: Der Menschen Hörigkeit (1915)
Berthold Brecht: Die Geschichten vom Herrn Keuner (1926-1956)
Peter Weiss: Fluchtpunkt (1962)
Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas (1946)

Filme
Terry Gilliam: Brazil (1985)
Bob Fosse: Cabaret (1972)
Joel and Ethan Coen: Burn after Reading (2008)
Marcel Camus: Orpheo Negro (1959)
Helmut Käutner: Große Freiheit Nr. 7 (1943)
Roberto Rosselini: Rom, offene Stadt (1945)
Federico Fellini: La Strada, Amarcord, Die Stadt der Frauen, La Dolce Vita,
Luchino Visconti: Der Leopard, Ludwig II, Die Verdammten,
P.P. Pasolini: König Ödipus, Accatone, Mamma Roma, Medea
Alfred Hitchcock: Psycho, Das Fenster zum Hof,
J. L. Godard: Die Verachtung, Außer Atem.
Woody Allan: Manhattan (1979)
Elia Kazan: Fieber im Blut (Splendor in the Grass), East of Eden, On the Waterfront, A Streetcar Named Desire.
Fred Zinnemann: 12 Uhr mittags, Ein Mann zu jeder Jahreszeit
John Huston/Arthur Miller: The Misfits – Nicht Gesellschaftsfähig.
Billy Wilder, Manche mögen’s heiß. (Some Like it Hot.)
Berry Levinson: Rain Man
Stanley Kubrick: Wege zum Ruhm, Clockwork Orange, Eyes Wide Shut, 2001: Odyssee im Weltraum (1968)
Miloš Forman: Einer flog über das Kuckucksnest
Andrej Tarkowski: Iwans Kindheit, Stalker, Andrei Rubljow, Solaris
Steven Spielberg, Catch me if you can, Der Weisse Hai
Fritz Lang: M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931)
Dick Richards: Fahr zur Hölle, Liebling (1975)
David Lean: Die Brücke am Kwai (1957)
Frank Beyer: Spur der Steine (1966)
Marcel Carné: Kinder des Olymp (1945)
Kathryn Bigelow: Strange Days (1995)
Louis Malle: Fahrstuhl zum Schafott (1958), Verhängnis (1992)
Alain Resnais: Hiroshima, mon amour (1959)
Jean-Jacques Annaud: Der Liebhaber (1992)
Jean Delannoy/J.P. Sartre: Das Spiel ist aus. (1947)
Anatole Litvak: Lieben Sie Brahms? (1961)
Helmut Dietl/Patrick Süskind: Rossini (1997)
Anthony Minghella: Der englische Patient (1996)
Roman Polanski: Der Ekel (1965), Rosemaries Baby (1968), Der Pianist (2002)
Peter Bogdanovich: Paper Moon (1973)
Robert Zemeckis: Forrest Gump (1994)
Ingmar Bergmann: Das siebente Siegel (1957) Wilde Erdbeeren (1957) Das Schweigen (1963) Schreie und Flüstern (1972) Herbstsonate (1978)
Patrice Chéreau: Intimacy (2001)
Michael Cacoyannis: Alexis Sorbas (1964)

Bildende Kunst
Edvard Munch: Der Schrei,
Vincent van Gogh: Die Selbstporträts
Michelangelo Buonarotti: David, Moses, Die Sklaven
Käthe Kollwitz: Die Selbstportraits
Rembrandt van Rijn: Die Portraits und Selbstportraits
Leonardo da Vinci: Die Portraits und Selbstportraits
Auguste Renoir: Frühstück der Bootsfahrer.
Claude Monet: Impression – Sonnenaufgang (1872)
Pablo Picasso: Guernica (1937)
Paul Cezanne: Die Aquarelle vom Mont Sainte-Victoire
Raffael: Die Schule von Athen (1509-1511)
William Turner: Die Aquarelle von Venedig.
Paul Klee: Die Aquarelle von der Tunisreise.

Musik
Ludwig v. Beethoven: 5. Symphonie, Quartett cis-Moll für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 131
W. A. Mozart: Don Giovanni, Die Zauberflöte, Die Hochzeit des Figaro. Die Entführung aus dem Serail, Die Streichquintette
Richard Wagner: Tristan und Isolde, Tannhäuser, Wesendonck-Lieder (1857-1858)
J. Offenbach: Hoffmanns Erzählungen
Richard Strauß: Der Rosenkavalier. Salome, Vier letzte Lieder
J. Puccini: Tosca, Madame Butterfly
Tomaso Albinoni/Remo Giazotto: Adagio in G-Moll (1958)
Giuseppe Verdi: La Traviata, Nabucco, Rigoletto, Don Carlos, Aida,
Franz Schubert: Winterreise (1827)
J. S. Bach: Die Cello-Suiten (1717–1723)
Antonio Vivaldi: Die Vier Jahreszeiten (1726)
Igor Strawinsky: Le Sacre du Printemps (1913)
Frederic Chopin: 2. Klaviersonate (1839-1840)
Pyotr Tschaikowsky: Sinfonie Pathétique (1893)
Robert Schumann: Träumerei (1838)
Alan Lerner, Frederick Loewe: My fair Lady (1956)
Richard Rodgers, Oscar Hammerstein: The Sound of Music (1959)


Märchen
Wilhelm Hauff: Das kalte Herz, Der Zwerg Nase,
Gebr. Grimm: Hans im Glück, Der Froschkönig,

Zusammenfassung

Werke aus den Bereichen Musik, Bildender Kunst und Literatur bieten eine reiche Quelle für das Verständnis der menschlichen Psyche, die weit über das hinausgeht, was in akademischen Lehrbüchern behandelt wird. Sie helfen Psychotherapeuten, die Komplexität der menschlichen Erfahrung besser zu erfassen und ihre therapeutischen Fähigkeiten zu vertiefen.

Weiterlesen: Psychotherapiepraxis in Berlin, Wolfgang Albrecht

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