Aspekte des Postmodernen Denkens

Einleitung

Die Postmoderne ist eine intellektuelle Strömung, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte und eine Reaktion auf die Veränderung der Weltbilder, wie sie sich schon viel früher in der Kunst mit der Abkehr von der Historienmalerei im Zuge der Romantik bei Delacroix, Corot und Turner vollzogen hatten. Auch in der Literatur wurde schon Ende des 18. Jahrhunderts mit Formen des Romans experimentiert, die einen vom Autor abgetrennten Leser infrage stellte und durch das Zurverfügungstellen von Bruchstücken von Texten, den Leser einluden, einen eigenen Roman sich vorzustellen, der aber vom Autor in abgeschlossener Form nicht angeboten wurde. So durchgeführt z.B von Friedrich Schlegel in seinen Fragmenten zum Roman “Lucinde”. Dies sind alles noch Experimente im Rahmen der Moderne, hier der Romantik, aber sie weisen schon voraus in die Zukunft, in der dekonstruktive Stilmittel nicht mehr die Ausnahme bilden, sondern zur Regel werden. Auch in der Sprachphilosophie bringt die Romantik in Gestalt Wilhelm von Humboldts neue Gesichtspunkte ins Spiel, die aufgrund intensiver Erforschung verschiedener Sprachen die Abhängigkeit der Fähigkeiten, Aspekte der Wirklichkeit zu beschreiben mit den Sprechkompetenzen und Möglichkeiten einer jeweiligen Sprache in Relation setzt. Steht Humboldt seinerseits damit in der Tradition Kants und seiner Erkenntniskritik, so wurden Humboldts Ansätze später von Cassirer in seiner Philosophie der symbolischen Formen und in Wittgensteins Konzept der Sprachspiele fortgesetzt.

Die Postmoderne als Selbstkritik der Moderne

Das postmoderne Denken in der Philosophie ist entgegen landläufiger Meinung nicht die große intellektuelle Revolution als die sie sich gerne geriert, sondern sie ist vielmehr die Konsequenz aus mindestens 150 Jahren explorativer Erfahrung und Erkundung mit Anschauungsformen, Denkformen und Lebensformen, die nicht mehr den traditionellen festgefügten Vorstellungen entsprechen. Insofern ist selbst Goethes Roman “Die Wahlverwandtschaften”, obwohl noch traditionell erzählt, schon ein Beispiel für das Infragestellen von unaufhebbarem Eheleben und anderen Traditionen wie z.B. dem Festhalten am Katechismus etc.
Im Ausformulieren postmoderner Gedanken in der Philosophie kommt das zum Ausdruck, was sich schon über einen sehr langen Zeitraum von vielen Künstlern und Philosophen vorbereitet worden war und stellt insofern eine Bilanz der Moderne seit der Romantik dar und ist keineswegs die Abkehr von der Moderne. Die Moderne hat sich selbst modernisierend im Rahmen von Impressionismus, Kubismus, Expressionismus und Existentialismus auf die Postmoderne zubewegt und muss im Zusammenhang mit Entwicklungen der Moderne gesehen werden, die selbst über sich hinausstrebend die Postmoderne hervorgebracht hat.
In der postmodernen Philosophie findet sich aber in der Summe und zugespitzt Kritik an den traditionellen Prinzipien der aufklärerischen Moderne und ist insofern geprägt durch Skepsis gegenüber universellen Wahrheiten und den großen Idealen aufklärerischen Denkens in Form einer Proklamation von allgemeingültigen Menschenrechten, einem Ringen um angemessene Formen des Verstehens und Darstellens in Geschichtswissenschaft, bildender Kunst und Musik. Wagners Konzeption des Musikdramas bereitete nicht nur die Filmmusik vor, sondern brachte auch in entschiedener Weise die Qualen von einzelnen auf die Bühne, was die subjektive Perspektive des Erlebens auf ganz neue Art steigerte. Zur gleicher Zeit wurden aber auch die Grundlagen gelegt für die großen Heilslehren sei es von Hegel oder Marx, der noch ausging von einer absoluten Wahrheit in Form einer Diktatur des Proletariats und sich davon persönliche und historisch-gesellschaftspolitische Erlösung versprach.
In gewisser Weise ist das Postmodernde Denken ein durch den Marxismus traumatisiertes Denken und stellt nicht nur den Marxismus infrage, sondern mit ihm die Aufklärung insgesamt, in deren Gefolge er gesehen wurde und sich selbst auch gesehen hat.

Die Grundelemente des postmodernen Denkens

Der wichtigste Aspekt postmodernen Denkens ist sicherlich seine Skepsis gegenüber den enttäuschenden Idealen, von den Postmodernisten enthistorisierend “Metanarrative” genannt. Postmoderne Denker lehnen die aufklärerischen Ideen von universellen Wahrheiten oder universellen Werten ab, indem sie diese als märchenhafte allumfassende Erzählungen oder „Metanarrative“ bezeichnen. Als Beispiele für solche Metanarrative werden gewöhnlich die Ideen der Aufklärung, der Marxismus und der Fortschrittsgedanke allgemein genannt. Es ist richtig, dass in den 60er Jahren des 20. Jahrhundert der Marxismus und die Psychoanalyse — vielleicht am ehesten noch tradiert in Formen der Kritischen Theorie — als emanzipatorische Wissenschaften idealisiert wurden. Der Zusammenprall mit realexistierenden Marxisten und realexistierenden Psychoanalytikern war dann aber spätestens ab den 70er und 80er Jahren extrem ernüchternd und es wurde zunehmend deutlich, dass die vormaligen Idealisierungen unbegründet waren und sowohl Marxismus als auch Psychoanalyse in ihrem realexistierenden Ausprägungen lediglich verkappte und bisher nicht ausreichend decodierte Herrschaftswissenschaften waren.
Die desillusionierten Postmodernen bekehrten sich jetzt zu Relativismus und Pluralismus. Jeder Dogmatik wurde zu Recht der Kampf angesagt. Die Postmodernen betonten, dass Wissen und Wahrheit grundsätzlich relativ sind und stark vom kulturellen, sozialen und historischen Kontext abhängen. Es gibt keine absolute Wahrheit, sondern nur verschiedene Perspektiven und Wahrheiten. Dies klingt sehr modern nach Einsteins Relativitätstheorie, und man könnte meinen, wenn die Vorstellung, dass alles relativ sei, sich schon in den Naturwissenschaften verbreitet hat, dies auch für die Kulturwissenschaften Geltung beanspruchen dürfe. Diese Analogie ist aber leider nicht zulässig, weil die Relativitätstheorie ja gerade nicht besagt, dass alles relativ sei, sondern dass alles relativ sei bezogen auf die Lichtgeschwindigkeit, die absolut gilt. Dieses Beispiel könnte schon darauf verweisen, dass viele Aussagen der Postmodernen sehr deklaratorisch aufzufassen sind und im Einzelnen einer weiteren Überprüfung bedürfen.
Ein weiterer wichtige Aspekt des postmodernen Denkens ist die Methode der Dekonstruktion: Es ist ein Konzept, das von Jacques Derrida entwickelt wurde, um die inhärenten Widersprüche in Texten und Systemen offenzulegen. Dekonstruktion soll zeigen, wie fragwürdig und wenig belastbar Bedeutungen oft sind und das sie nur kontextabhängig zu verstehen sind.
Beispiele hierfür aus dem Nicht-Postmodernen Bereich sind: Hannah Arendts Analyse des Politikbegriffs bei Marx, für den Politik offenbar nach der Revolution gar kein Thema mehr war. Eine bedeutende Schwachstelle des marxistischen Denkens und ein Hinweis darauf, dass in einer marxistischen Diktatur tatsächlich von Politik nicht mehr die Rede sein kann. Ein anderes Beispiel: Die katholische Kirche arbeitete intensiv nach der lutherischen Reformation an einer Verteidigung ihrer Traditionen, weil sie zeigen wollte, dass Luthers vermeintlicher Rückgriff auf eine sich selbst erklärende Bibel (sola scriptura) inakzeptabel sei und es einer historisch-kritischen Methode bedürfe, um die Bibel aus ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen.
Gegenüber Derrida ist bisher die Frage unbeantwortet geblieben, wie genau die Methode der Dekonstruktion funktioniert und anhand welcher Beispiele, diese Methode mit Erfolgt demonstriert werden kann. Solange dies nicht exemplifiziert wird, sollte die Hypothese gelten: Dekonstruktion ist die Behauptung einer Methode, die aber über ihre eigene Emphase nicht hinauskommt, weil sie es nicht schafft, sich selbst zu dekonstruieren.

Hierzu sei ein Vergleich mit Popper erlaubt, der zugab, dass sein Grundsatz, eine wissenschaftliche Aussage müsse falsifizierbar sein, selbst unwissenschaftlich sei, weil auf ihn selbst die Forderung nach Falsifizierbarkeit nicht anwendbar sei.

Die These der Fragmentierung

Ein weiterer Aspekt postmodernen Denkens betrifft die These der Fragmentierung. Postmoderne Denker betonen die Fragmentierung von Identität, Geschichte und Kultur. Es gibt keine kohärente, einheitliche Identität oder Erzählung, sondern viele verschiedene und oft widersprüchliche Geschichten und Selbstbilder. Dieses Problematik ist aber schon immer in den Religionen in Form von Ekstase, Bekehrung etc. thematisiert worden und berührt letztlich das Bedürfnis nach transzendenter Erfahrung, die ihren Anfang nahm in den Seelenreisen der Schamanen und die ihre letzten Ausläufer findet in Formen von Namensänderung, Geschlechtswechsel und Auswanderungsbewegungen. Menschen sind von ihrer anthropologischen Grundausstattung vermutlich nicht dafür gemacht, immer nur ein Narrativ zu bedienen, sondern streben schon immer über sich hinaus, sonst wären prähistorische Kunstwerke und die Odyssee überhaupt nicht zu erklären. Wenn man davon ausgehen muss, dass die Sehnsucht nach Transzendenz, dem Wunsch ein anderer zu sein, anders zu sein, als man sein soll, dann ist es doch im Rahmen einer Philosophie etwa zu kurz gesprungen, wenn derartige zentrifugalen Kräfte in einer Gesellschaft, die es ja schon immer gegeben hat — man denke nur an die alttestamentlichen Propheten, die einsamen Rufer in der Wüste, Richard Strauss Vertonung der Salome — nur affirmativ abzufeiern. Von einer Philosophie sollte doch erwartet werde können, dass sie sich und ihre eigenen Denkvoraussetzungen selbst reflektieren kann und zum anderen, die Frage zu beantworten, wie unter der Voraussetzung, dass alles relativ und fragmentiert sei, irgendeine Form von Verbindlichkeit, ein Rekurs auf die universellen Menschenrechte (Art. 1 GG, Die Würde des Menschen ist unantastbar) gewährleistet werden können.

Wie soll auf der Basis postmodernen Denkens das Auseinanderfallen von Gesellschaften, letztlich Bürgerkriege verhindert werden, wie kann die Historie von Fragmentierung selbst wieder in eine Erzählung integriert werden , so etwa wie in Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen oder anders? Oder bleibt die Erzählung der Fragmentierungen am Ende die einer nicht erzählbaren Geschichte, eine Art stumme postmoderne Odyssee?

Bewegungen und Gegenbewegungen

Es ist interessant, dass man sich in Psychologie und Psychotherapie gerade unter dem Einfluss des postmodernen Denkens stark für narrative Therapie interessiert hat. Diese Therapieform betont die Bedeutung der persönlichen Erzählungen und Geschichten, die Menschen subjektiv über ihr Leben erzählen. Postmoderne Ansätze in der Psychologie betonen die Rolle des sozialen und kulturellen Kontextes in der Entwicklung der Identität. So kommt es wieder zu einer Verstärkung der Bedeutung von Subjektivität und Kontextualität, wichtigen Errungenschaften seit der Romantik.
In der Politik wird zurecht die Kritik an Ideologien betont. Postmoderne Politik stellt traditionelle ideologische Strukturen in Frage und betont die Vielfalt der politischen Stimmen und Perspektiven.
In der Identitätspolitik greifen Bewegungen wie Feminismus, Queer-Theorie und Postkolonialismus auf postmoderne Konzepte zurück, um die Pluralität von Identitäten und die Ubiquität von Machtstrukturen zu analysieren. Die Frage ist nur, ob dieses kritische Denken auch auf eigene Positionen angewendet werden darf, oder ob es nur zu einer abgeflachten Ideologie mutiert, um den jeweiligen politischen Gegner anzugreifen, der vermeintlich illiberal und intolerant ist. Die Postmoderne hat sich in diesen Bereichen durch die Betonung der Vielfalt, Pluralität und die Dekonstruktion traditioneller Strukturen und Wahrheiten Geltung verschafft. Sie fördert eine kritische Haltung gegenüber etablierten Normen und öffnet Raum für neue Formen des Ausdrucks und der Interpretation. Was bislang fehlt ist Verständnis für die Begrenztheit und die Aporien des eigenen Denkens und eine Anerkennung des Aspekts der Akzeptanz für notwendige transzendierende Prozesse in der Gesellschaft und beim einzelnen.

Aporien des postmodernen Ansatzes

Die Aporien des postmodernen Ansatzes beziehen sich auf die inneren Widersprüche und Herausforderungen, die aus den grundlegenden Prinzipien der Postmoderne resultieren. Diese Widersprüche zeigen auf, dass die postmodernen Theorien und Ansätze selbst in logische und praktische Schwierigkeiten geraten können. Hier sind einige zentrale Aporien der Postmoderne:
Relativismus und Selbstreferenzialität:
Der postmoderne Relativismus behauptet, dass alle Wahrheiten und Werte relativ sind und keine universelle Gültigkeit besitzen. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass auch diese Aussage selbst relativ ist und somit nicht universell beanspruchen kann, wahr zu sein. Wenn alle Wahrheiten relativ sind, gilt das auch für den Relativismus selbst, was Die Aussage „Es gibt keine absolute Wahrheit“ ist selbst eine absolute Aussage, was einen Widerspruch darstellt.

Die Dekonstruktion, wie von Jacques Derrida formuliert, zielt darauf ab, die instabilen und widersprüchlichen Bedeutungen in Texten aufzudecken. Dies führt zu der Frage, ob Dekonstruktion selbst einer stabilen Bedeutung entbehren kann. Wenn alle Bedeutungen instabil und kontextabhängig sind, wie kann die Dekonstruktion als Methode kohärent und konsistent angewendet werden?
Wenn jeder Text dekonstruiert werden kann und seine Bedeutung instabil ist, gilt das auch für die Texte der Dekonstruktion selbst. Nebenbei gefragt: Wie unterscheidet sich die Methode der Dekonstruktion von der Sokratischen Methode, alles behauptete Wissen infrage zu stellen?

Die Betonung von Pluralismus und Vielfalt in der Postmoderne kann dazu führen, dass klare Entscheidungen und zielführende Handlungen erschwert werden. Wenn alle Perspektiven gleichwertig sind, kann es unmöglich werden, Prioritäten zu setzen oder konkrete Maßnahmen zu ergreifen. In politischen Diskussionen kann die postmoderne Betonung von Pluralität dazu führen, dass es keine klaren Kriterien gibt, nach denen Entscheidungen getroffen werden sollen, was zu Entscheidungsunfähigkeit führen kann.

Die Postmoderne kritisiert universelle Ideale, Metanarrative als hegemoniale Konstrukte, doch gleichzeitig schafft sie eigene Narrative über die Natur von Wissen, Macht und Kultur. Diese neuen Narrative könnten ebenfalls als neue Ideale, Metanarrative betrachtet werden, was zu einem Widerspruch führt. Die postmoderne Erzählung, dass alle großen Erzählungen unterdrückerisch sind, ist selbst eine umfassende Erzählung, die einen universellen Anspruch erhebt.
Die Postmoderne Philosophie hat sich auch bisher noch nicht kritisch mit dem Phänomen von Wokeness auseinandergesetzt, wobei vermutet werden muss, dass Wokeness die realexistierende Form von postmoderner Philosophie darstellt. Was sehen die Postmodernen, wenn sie in den Spiegel ihres realexistierenden Alter-Egos blicken?

Was bleibt?

Was könnte als Ergebnis von Moderne und Postmoderne hervorgehoben werden?
Zunächst sollte klar sein, dass alle erkenntnistheoretischen Bemühungen seit der Aufklärung die Erkenntnis hervorgebracht haben, dass das, was wir als Welt außerhalb von uns oder in uns erfassen wollen, nicht abschließend ein für alle mal beschrieben werden kann. Der sogenannte hermeneutische Zirkel führt tatschlich nicht in die Nähe von etwas Greifbaren, sondern provoziert immer neue Fragestellungen und Unsicherheiten.

Es ist richtig, dass der naive Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts ein für allemal zerstört werden musste und dass wir jetzt in ein Zeitalter eintreten, in dem die Menschheit um ihr Überleben zu kämpfen hat. Es wäre schon, wenn die postmodernen Denker diesen Prozess etwas konstruktiver begleiten könnten, um Teil der Lösung zu sein.

Die Entdeckung der Subjektivität in der Romantik war letztlich ein Startschuss für Emanzipationsbewegungen aller Art. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mensch grundsätzlich als Herdenwesen an irgendeine Form von Gemeinschaft gebunden bleibt und deshalb Emanzipationsbestrebungen immer im Zusammenhang mit Notwendigkeiten zur Vergesellschaftung gesehen werden müssen. Der Grundsatz: “Was andere denken, ist mir egal.” übersieht das Problem der Akzeptanz, die gerade für erfolgreiche Emanzipationsbewegungen von Bedeutung sein sollte. Zur fragmentierten Gesellschaft ein Artikel in der NZZ v. 21.7.2024. Inwiefern Wokeness eine Reaktion vom rechten Rand der Gesellschaft provoziert ein Artikel in der NZZ v. 24.2.2024.

Anhang zu Jean-François Lyotard

Jean-François Lyotard (1924-1998) war ein französischer Philosoph, der vor allem für seine Arbeiten zur Postmoderne und seine Kritik an den großen Meta-Erzählungen bekannt ist. Hier sind einige der wichtigsten Positionen und Lehren von Lyotard:
1. Postmoderne als Ungläubigkeit gegenüber Meta-Erzählungen
Lyotard ist am bekanntesten für sein Werk “Das postmoderne Wissen” (La Condition postmoderne, 1979), in dem er die Postmoderne als eine Epoche definiert, die sich durch das Misstrauen gegenüber großen Meta-Erzählungen auszeichnet. Diese Meta-Erzählungen sind umfassende, übergreifende Erzählungen oder Ideologien, die den Anspruch erheben, universelle Wahrheiten oder umfassende Erklärungen für die Geschichte und das menschliche Dasein zu liefern, wie etwa Marxismus, Christentum oder die Aufklärung.
2. Sprachspiele und Differenzen
Lyotard bezieht sich auf die Sprachspieltheorie von Ludwig Wittgenstein und argumentiert, dass Wissen und Bedeutung durch eine Vielzahl von unterschiedlichen, oft nicht kompatiblen Sprachspielen entstehen. Jedes Sprachspiel hat seine eigenen Regeln und Kriterien der Wahrheit, und es gibt keinen übergeordneten Maßstab, der alle Sprachspiele miteinander vergleicht oder bewertet.
3. Legitimation durch Performativität
In der postmodernen Gesellschaft, so Lyotard, wird Wissen nicht mehr durch große Erzählungen legitimiert, sondern durch Performativität, also durch den Nutzen und die Effizienz, die es in spezifischen Kontexten hat. Die Frage nach der Legitimität von Wissen wird durch die Frage nach seiner Anwendbarkeit und Brauchbarkeit ersetzt.
4. Der Wandel der Wissensproduktion
Lyotard beschreibt den Wandel der Wissensproduktion in der postmodernen Gesellschaft, insbesondere durch die Informationstechnologie und die Globalisierung. Wissen wird zu einer Ware, die produziert, gehandelt und konsumiert wird, ähnlich wie materielle Güter.
5. Kritik an Universalität und Totalität
Lyotard kritisiert die Vorstellung einer universalen Wahrheit und betont die Bedeutung von Pluralität und Heterogenität. Er sieht den Versuch, eine einzige, umfassende Erklärung oder Theorie zu entwickeln, als repressiv und ausschließend an.
6. Ästhetik und das Erhabene
Lyotard beschäftigte sich auch intensiv mit ästhetischen Fragen und dem Begriff des Erhabenen. Er argumentierte, dass das Erhabene, als Erfahrung des Unvorstellbaren und Unrepräsentierbaren, eine zentrale Rolle in der postmodernen Kunst und Kultur spielt. Das Erhabene bricht mit traditionellen ästhetischen Formen und fordert neue Wege der Wahrnehmung und Interpretation.
Zusammenfassung
Lyotards Philosophie betont die Fragmentierung und Pluralität des Wissens, die Ablehnung universaler Erklärungen und die Bedeutung des Kontextes und der Performativität bei der Bewertung von Wissen. Seine Ideen haben bedeutenden Einfluss auf die postmoderne Theorie, die Kulturwissenschaften und die Philosophie der letzten Jahrzehnte ausgeübt.

Lyotard und seine Bezüge zu Heidegger, Wittgenstein, Kant, Marx und Nietzsche.

Jean-François Lyotard bezieht sich in seiner Philosophie auf eine Reihe bedeutender Philosophen, darunter Martin Heidegger, aber auch Ludwig Wittgenstein, Immanuel Kant und Karl Marx. Diese Bezüge sind komplex und vielschichtig und helfen, seine postmoderne Kritik und seine eigenen philosophischen Positionen besser zu verstehen.

1. Bezug auf Martin Heidegger
Lyotard setzt sich intensiv mit Heidegger auseinander, besonders mit dessen Konzept des Seins und der Technik. Heidegger sieht die moderne Technik als ein Modus des Entbergens, das die Welt als Bestand (Ressourcen) verfügbar macht. Lyotard greift diesen Gedanken auf und erweitert ihn im Kontext der postmodernen Wissensgesellschaft. Er sieht die zunehmende Technologisierung und Informatisierung als eine Fortsetzung der durch Heidegger beschriebenen technischen Weltsicht, jedoch mit einer neuen Dynamik, die Wissen als Ware behandelt.

2. Bezug auf Ludwig Wittgenstein
Lyotard nutzt Wittgensteins Theorie der Sprachspiele, um seine eigenen Ideen zur Fragmentierung und Pluralität des Wissens zu formulieren. Nach Wittgenstein bestehen unterschiedliche Sprachspiele nebeneinander, jedes mit eigenen Regeln und Bedeutungen. Lyotard übernimmt diese Idee und argumentiert, dass es keine übergreifende, universale Erzählung oder Wahrheit gibt, sondern eine Vielzahl von Wissensformen und -praktiken, die jeweils in ihrem eigenen Kontext Bedeutung haben.

3. Bezug auf Immanuel Kant
Lyotards Interesse an Kants Ästhetik, insbesondere dem Begriff des Erhabenen, ist zentral für sein Verständnis der postmodernen Kunst und Kultur. Das Erhabene bei Kant beschreibt eine Erfahrung, die über das Fassbare und Darstellbare hinausgeht und Gefühle von Erstaunen und Schrecken hervorruft. Lyotard sieht in der postmodernen Kunst eine ähnliche Tendenz, das Unvorstellbare und das Unrepräsentierbare zu thematisieren und damit die Grenzen traditioneller ästhetischer Formen zu überschreiten.

4. Bezug auf Karl Marx
Obwohl Lyotard kritisch gegenüber großen Meta-Erzählungen wie dem Marxismus steht, bezieht er sich auf Marx, um die ökonomischen und sozialen Veränderungen in der postmodernen Gesellschaft zu analysieren. Insbesondere die Idee, dass Wissen zu einer Ware wird und die Produktionsweisen sich verändern, hat Parallelen zu Marx’ Analyse des Kapitalismus. Lyotard erweitert diese Analyse, indem er die Rolle der Informationstechnologie und der Globalisierung betont.

5. Bezug auf Friedrich Nietzsche
Nietzsche spielt eine indirekte, aber bedeutende Rolle in Lyotards Denken. Die Nietzscheanische Kritik an den traditionellen Werten und Wahrheiten und die Betonung des Willens zur Macht und der Perspektivierung beeinflussen Lyotards Skepsis gegenüber universellen Wahrheitsansprüchen und seiner Betonung der Pluralität und Differenz.

Zusammenfassung
Lyotards Philosophie ist stark durch den Dialog mit anderen bedeutenden Philosophen geprägt. Er nutzt Heideggers Technikphilosophie, Wittgensteins Sprachspieltheorie, Kants Ästhetik des Erhabenen, Marx’ Kapitalismuskritik und Nietzsches Perspektivismus, um seine eigene postmoderne Kritik und seine Betonung der Fragmentierung und Pluralität des Wissens zu entwickeln. Durch diese Bezüge wird deutlich, wie Lyotard traditionelle philosophische Ansätze transformiert und auf die postmoderne Situation anwendet.

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