Einleitung
In diesem Beitrag sollen Gedanken zum Phänomen der Phantasielosigkeit zusammengetragen werden. D.h., es geht um die Frage, was Phantasie blockieren, hemmen und abwürgen kann oder warum Menschen auf die Möglichkeit zu mehr Phantasie in ihrem Leben mit Aversionen oder Desinteresse reagieren. Dabei geht es um keinen spezifischen Bereich des Lebens, in dem ein mehr an Phantasie eine Bereicherung darstellen könnte.
Sicherlich wird man bei Phantasie zuerst an interessante Gespräche, eine geschmackvolle Wohnungseinrichtung, leckere, selbst zubereitete Mahlzeiten und einen nicht zu öden Sex denken. Aber selbstverständlich kann sich Phantasie auch im Bereich des visuellen Gestaltens, des Schreibens, des Musizierens und sportlicher Betätigungen oder selbst organisierter Urlaubsreisen als Vertiefung der menschlichen Existenzerfahrung und damit im Sinne einer gesteigerten Selbstfindung und einer befriedigenden Selbstverwirklichung auswirken.
Um einen Einstieg zu finden, möchte ich einmal mehr auf die Drei-Welten-Theorie Poppers zurückgreifen, die er in Anlehnung an den Neuplatoniker Plotin und dessen Emanationslehre entwickelt hat. Sie beschreibt drei verschiedene „Welten“ oder Kategorien von Entitäten: Physis, Psyche und Logos.
Welt 1: Physis. Die Welt der physischen Objekte und Zustände. Dies umfasst alles, was materiell existiert, wie Steine, Bäume und der menschliche Körper.
Welt 2: Psyche. Die Welt der mentalen Zustände und Prozesse. Hierzu zählen Gedanken, Emotionen, Erinnerungen, Träume, Erwartungen, Hoffnungen, Phantasien, Vorstellungen und Bewusstseinsinhalte.
Welt 3: Logos. Die Welt der objektiven Inhalte des menschlichen Geistes. Dazu gehören Ideen, Theorien, wissenschaftliche Erkenntnisse, mathematische Sätze, literarische Werke und generell alle kulturellen Hervorbringungen, die unabhängig von den individuellen flüchtigen mentalen Zuständen der Psyche existieren.
Phantasielosigkeit: Erklärungsansätze im Rahmen der Drei-Welten-Theorie
Um Phantasielosigkeit mithilfe der Drei-Welten-Theorie zu beschreiben, könnte man die folgenden Überlegungen anstellen:
Welt 2 – Die mentale Welt: Phantasielosigkeit bezieht sich primär auf Prozesse in Welt 2, der Welt der mentalen Zustände. Hier geht es um die Fähigkeit oder Unfähigkeit, sich das eigene emotionale und gedankliche Erleben so zu intensivieren, dass sie danach drängen, sich neue Ideen, Szenarien oder kreative Lösungen vorzustellen. Eine phantasielose Person könnte Schwierigkeiten haben, ihre mentalen Prozesse so zu organisieren, dass sie über das hinausgehen, was bereits bekannt oder unmittelbar wahrnehmbar ist.
Dies könnte z.B. damit zu tun haben, dass keine Notwendigkeit erlebt wird, über das unmittelbar vorhandene hinauszugehen, weil kein Mangel empfunden wird. Ein phantasieloser Mensch wäre wie ein Hund mit einem Knochen, wunschlos glücklich. Es könnte aber auch sein, dass Ängste auftreten, wenn Gedanken oder Gefühle aufkommen, die über das unmittelbar Vorhandene hinausgehen, weil dann schnell ein Gefühl des Unheimlichen entsteht, das in Schach gehalten werden muss. Jede Abweichung vom unmittelbar Vorhandenen würde dann wie ein Albtraum erlebt. Es könnte auch sein, dass Inhalte der mentalen Welt wie Gedanken und Gefühle sehr undeutlich erlebt werden, wie in einem Nebel, so dass aufgrund der Unklarheit von Gedanken und Gefühlen kein Material für Phantasie zur Verfügung steht. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass eigene Hervorbringungen als untalentiert und trivial empfunden werden und in der Welt der mentalen Zustände nichts auslösen, was als bedeutend empfunden werden könnte.
Verbindung zwischen Welt 2 und Welt 3: Kreativität und Phantasie entstehen oft aus einer aktiven Interaktion zwischen Welt 2 und Welt 3. Eine Person nutzt die mentalen Ressourcen (Welt 2), um geleitet von einer Idee neue objektive Inhalte (Welt 3) zu erschaffen, wie zum Beispiel literarische Werke, wissenschaftliche Theorien oder Kunstwerke. Wenn jemand phantasielos ist, könnte das darauf hinweisen, dass diese Interaktion gestört oder blockiert ist. Die Person schöpft entweder nicht aus den Inhalten von Welt 3 oder kann diese nicht in ihren mentalen Prozessen verarbeiten, um neue Inhalte zu erzeugen. Vielfach wird angegeben, dass eigene Hervorbringungen viel schlechter seien als das, was andere Menschen schon geschaffen hätten. Aus diesem Vergleich resultiert eine Selbstabwertung und Hemmung eigener Phantasietätigkeit. Anhand von Musik könnte man zeigen, inwiefern Menschen motiviert sind, durch das Spielen eines Instruments, ihrem eigenen Leben einen eigenen Soundtrack hinzuzufügen oder aber stumm zu bleiben und nur zu konsumieren.
Welt 1 und Phantasielosigkeit: Die physische Welt (Welt 1) könnte ebenfalls einen Einfluss auf Phantasielosigkeit haben. Beispielsweise könnten physische Umstände wie ein Mangel an sensorischer Stimulation oder ein sehr eintöniges Umfeld zu einer Einschränkung der kreativen Fähigkeiten führen. Welt 1 beeinflusst somit die Bedingungen, unter denen Welt 2 operiert, und kann somit indirekt zur Phantasielosigkeit beitragen.
Zusammenfassung
Die Drei-Welten-Theorie bietet einen Rahmen, um Phantasielosigkeit zu analysieren, indem sie das Zusammenspiel zwischen der mentalen Welt und der Welt geistiger Ideen und kultureller Inhalte betrachtet. Phantasielosigkeit könnte als ein Defizit in der kreativen Wechselwirkung zwischen Welt 2 und Welt 3 verstanden werden, das möglicherweise durch äußere Einflüsse aus Welt 1 verstärkt wird.
Insofern könnte die Drei-Welten-Theorie erklären, dass Phantasielosigkeit das Resultat einer mangelnden Verbindung zwischen diesen Welten ist, sei es durch fehlende Anregung, fehlende Verarbeitungskapazität oder durch eine fehlende Fähigkeit, kreative Ideen zu formulieren und umzusetzen.
Erklärungen der Phantasielosigkeit im Rahmen der Theorien von Therese Amabile
Therese Amabile (geb. 1950), ist eine bekannte Forscherin auf dem Gebiet der Kreativität. Sie hat besonders die Beziehung zwischen Motivation und Kreativität untersucht. Ihre Arbeiten liefern Einsichten, die auch helfen können, Theorien zur Phantasielosigkeit zu entwickeln.
Amabiles Forschung zur Motivation und Kreativität
Amabile unterscheidet in ihrer Forschung zwischen zwei Haupttypen von Motivation:
Intrinsische Motivation: Diese entsteht, wenn eine Person eine Aufgabe um ihrer selbst willen ausführt, weil sie Freude daran hat, interessiert ist oder eine persönliche Herausforderung darin sieht. Intrinsische Motivation ist stark mit Kreativität verbunden, weil sie den Menschen dazu antreibt, neue Ideen zu erkunden, Risiken einzugehen und originelle Lösungen zu entwickeln.
Extrinsische Motivation: Diese tritt auf, wenn eine Person eine Aufgabe ausführt, um eine externe Belohnung zu erhalten oder eine Bestrafung zu vermeiden. Beispiele hierfür sind Geld, Anerkennung oder das Erfüllen von Anforderungen. Amabile fand heraus, dass extrinsische Motivation, wenn sie dominierend ist, oft zu einem Rückgang der Kreativität führt, insbesondere wenn sie kontrollierend wirkt oder den kreativen Prozess einschränkt.
Theorien zur Phantasielosigkeit basierend auf Amabiles Forschung
Basierend auf Amabiles Theorien können verschiedene Hypothesen zur Phantasielosigkeit abgeleitet werden:
Mangel an intrinsischer Motivation: Wenn eine Person wenig oder keine intrinsische Motivation für eine Aufgabe oder Aktivität empfindet, kann dies zu Phantasielosigkeit führen. Da Kreativität und Fantasie stark von der Freude am kreativen Prozess selbst abhängen, wird ein Mangel an intrinsischer Motivation die Fähigkeit zur Vorstellungskraft und zur Entwicklung neuer Ideen stark einschränken. In einem Arbeitsumfeld, in dem Aufgaben als langweilig oder bedeutungslos empfunden werden, könnte Phantasielosigkeit entstehen, weil die intrinsische Motivation fehlt.
Dominanz extrinsischer Motivation: Wenn extrinsische Motivation überwiegt, kann dies die Phantasie blockieren. Dies geschieht, weil der Fokus auf externe Belohnungen oder die Vermeidung von Bestrafungen den kreativen Prozess einschränkt. Die Angst, nicht den Erwartungen zu entsprechen, kann dazu führen, dass Menschen eher konventionelle und sichere Ideen bevorzugen, anstatt neue, unkonventionelle Wege zu erkunden. Ein Schüler, der nur für Noten lernt und dabei stark unter Leistungsdruck steht, könnte weniger kreativ sein, weil der Lernprozess durch die Furcht vor schlechten Noten bestimmt wird, anstatt durch Neugier und Interesse.
Umgebungsfaktoren und ihre Auswirkungen auf Motivation: Amabile betont, dass das Umfeld, in dem Menschen arbeiten oder lernen, einen großen Einfluss auf ihre Motivation und damit auf ihre Kreativität hat. Ein stark kontrollierendes oder restriktives Umfeld kann Phantasielosigkeit fördern, indem es die intrinsische Motivation unterdrückt und den Fokus auf extrinsische Anreize legt. In einer Organisation, in der starker Druck herrscht, bestimmte Ziele zu erreichen, und in der wenig Raum für Experimentieren und Fehler erlaubt wird, könnte Phantasielosigkeit unter den Mitarbeitern entstehen.
Aufrechterhaltung der Kreativität durch Autonomie: Amabile argumentiert, dass Autonomie und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung die intrinsische Motivation fördern und somit Phantasie und Kreativität erhalten oder sogar steigern können. Ein Mangel an Autonomie könnte Phantasielosigkeit begünstigen, weil die Menschen das Gefühl haben, dass ihre Handlungen und Entscheidungen keinen Einfluss haben. Ein Designer, der wenig Freiheit bei der Gestaltung hat und strikten Vorgaben folgen muss, könnte Schwierigkeiten haben, neue Ideen zu entwickeln, was zu Phantasielosigkeit führen könnte.
Zusammenfassung
Therese Amabiles Forschung zeigt, wie stark die Art der Motivation die Kreativität und damit auch die Phantasie beeinflusst. Phantasielosigkeit kann daher als ein Symptom für eine unzureichende intrinsische Motivation oder eine Überbetonung extrinsischer Motivationsfaktoren gesehen werden. Indem man Bedingungen schafft, die die intrinsische Motivation fördern—etwa durch Autonomie, interessante Aufgaben und ein unterstützendes Umfeld—könnte man der Phantasielosigkeit entgegenwirken.
Erklärungen der Phantasielosigkeit im Rahmen der Theorie der „divergenten Produktion“ von J.P. Guilford
J.P. Guilford (1897-1987) war ein bedeutender Psychologe, der sich intensiv mit Kreativität und den zugrunde liegenden kognitiven Prozessen beschäftigte. Eine seiner wichtigsten Beiträge zur Kreativitätsforschung ist die Theorie der “divergenten Produktion”. Diese Theorie bietet wertvolle Einsichten, um Phantasielosigkeit zu verstehen und zu erklären.
Divergente und Konvergente Produktion
Guilford unterschied zwischen zwei Haupttypen des Denkens:
Divergentes Denken: Dies ist die Fähigkeit, viele unterschiedliche Ideen zu einem bestimmten Problem oder Thema zu generieren. Es ist gekennzeichnet durch Originalität, Flexibilität und die Bereitschaft, unkonventionelle oder neue Wege zu gehen. Divergentes Denken ist essenziell für Kreativität und Phantasie, da es die Grundlage für die Entwicklung von neuen und unterschiedlichen Konzepten und Vorstellungen bildet.
Konvergentes Denken: Im Gegensatz dazu konzentriert sich das konvergente Denken auf die Suche nach einer einzigen, bestmöglichen Lösung für ein Problem. Es ist oft logisch, linear und analytisch. Während konvergentes Denken in vielen Bereichen wichtig ist, trägt es weniger zur kreativen Vorstellungskraft bei.
Phantasielosigkeit und divergente Produktion
Phantasielosigkeit kann aus der Sicht von Guilfords Theorie als ein Mangel oder eine Einschränkung der divergenten Produktion verstanden werden. Hier sind einige spezifische Aspekte, wie dies erklärt werden kann:
Mangel an Ideenvielfalt: Wenn eine Person Schwierigkeiten hat, viele verschiedene Ideen oder Lösungen für ein Problem zu generieren, deutet dies auf eine eingeschränkte divergente Produktion hin. Dies könnte zu Phantasielosigkeit führen, weil die Fähigkeit, neue und kreative Szenarien zu entwickeln, stark reduziert ist. Ein Autor, der immer wieder dieselben Themen und Plots verwendet, ohne neue Ansätze zu entwickeln, könnte an Phantasielosigkeit leiden, weil seine divergente Produktion eingeschränkt ist.
Eingeschränkte Flexibilität im Denken: Phantasie erfordert nicht nur die Fähigkeit, viele Ideen zu generieren, sondern auch, diese Ideen flexibel zu verändern und anzupassen. Wenn eine Person rigide oder fixiert auf bestimmte Denkweisen ist, kann dies ihre Fähigkeit zur divergenten Produktion einschränken, was zu Phantasielosigkeit führen kann. Ein Ingenieur, der nur altbewährte Methoden anwendet und sich weigert, neue Ansätze zu erkunden, könnte Schwierigkeiten haben, innovative Lösungen zu finden, was auf Phantasielosigkeit hindeuten könnte.
Fehlende Originalität: Ein weiterer Aspekt der divergenten Produktion ist die Originalität, d. h. die Fähigkeit, Ideen zu entwickeln, die neu und ungewöhnlich sind. Wenn diese Fähigkeit beeinträchtigt ist, könnte die Person phantasielos wirken, weil ihre Vorstellungen nicht über das Gewöhnliche hinausgehen. Ein Künstler, dessen Werke sich alle sehr ähnlich sind und keine neuen Impulse enthalten, könnte an einer phantasielosen Routine festhalten, die durch eine fehlende Originalität im divergenten Denken verursacht wird.
Überbetonung des konvergenten Denkens: In vielen Bildungssystemen und Berufen wird konvergentes Denken betont, etwa das Finden der „richtigen“ Antwort. Diese Überbetonung kann die Entwicklung divergenter Denkprozesse unterdrücken und somit Phantasielosigkeit fördern. Ein Schüler, der darauf trainiert ist, bei Tests die „richtigen“ Antworten zu finden, könnte Schwierigkeiten haben, kreative Essays zu schreiben oder originelle Projekte zu entwickeln, weil sein divergentes Denken unterentwickelt ist.
Zusammenfassung
J.P. Guilfords Theorie der divergenten Produktion bietet einen nützlichen Rahmen, um Phantasielosigkeit zu verstehen. Phantasielosigkeit kann als ein Defizit in den Fähigkeiten zur divergenten Produktion betrachtet werden, d. h. in der Fähigkeit, viele, flexible und originelle Ideen zu generieren. Faktoren wie eine übermäßige Betonung konvergenten Denkens, mangelnde Flexibilität oder eingeschränkte Originalität können alle zu einem Mangel an Phantasie führen. Indem man die divergenten Denkfähigkeiten fördert, z. B. durch kreatives Training oder durch ein Umfeld, das Experimentieren und Ideenvielfalt belohnt, könnte man Phantasielosigkeit entgegenwirken.
Erklärungen der Phantasielosigkeit im Rahmen von psychoanalytischen Theorien
In der Psychoanalyse geht man davon aus, dass eine gesteigerte Durchlässigkeit der “Membran” zwischen dem Verdrängenden und dem Verdrängten Kreativität fördert. Diese Theorie lässt sich auch nutzen, um Phantasielosigkeit zu erklären. Um dies zu verstehen, ist es wichtig, die grundlegenden Konzepte der Psychoanalyse zu betrachten, insbesondere wie das Unbewusste, das Verdrängte und kreative Prozesse miteinander verbunden sind.
Grundlegende psychoanalytische Konzepte
Das Unbewusste: In der psychoanalytischen Theorie, insbesondere bei Sigmund Freud, wird das Unbewusste als eine tiefere Ebene der Psyche betrachtet, in der verdrängte Wünsche, Ängste, Erinnerungen und Konflikte gespeichert sind. Diese Inhalte sind dem bewussten Verstand normalerweise nicht zugänglich, können jedoch durch verschiedene Mechanismen, wie Träume, Versprecher oder kreative Prozesse, in das Bewusstsein gelangen.
Verdrängung: Verdrängung ist ein Abwehrmechanismus, bei dem unangenehme oder bedrohliche Inhalte aus dem Bewusstsein ins Unbewusste verdrängt werden, um das psychische Gleichgewicht zu wahren.
Durchlässigkeit der Membran: Die “Membran” zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten ist eine metaphorische Darstellung der Trennlinie zwischen dem Verdrängten und dem, was ins Bewusstsein dringt. Eine “durchlässige Membran” bedeutet, dass Inhalte des Unbewussten leichter in das Bewusstsein gelangen können, was kreative Prozesse begünstigen kann.
Ich-Funktionen: Im Rahmen der psychoanalytischen Ich-Psychologie von H. Hartmann u.a. wurden die Ich-Funktionen detailliert untersucht. Hierzu gehören alle Funktionen des Ich, die mit dem Denken, Kategorisieren und der differenzierten Wahrnehmung von Affekten und Gefühlen verbunden sind.
Zu Ich-Funktionen weiterlesen im Beitrag Arbeit an der Struktur.
Selbstpsychologie: Im Rahmen der psychoanalytischen Selbstpsychologie wurde von Kohut u.a. die für das Selbst konstitutiven Selbstkonzepte und die damit verbundenen Gefühle von Scham und dem Wunsch sich mit Vorbildern identifizieren zu wollen, detailliert untersucht.
Phantasielosigkeit aufgrund einer mangelhafte Durchlässigkeit der Membran zum Unbewussten
Unter dieser Perspektive könnte Phantasielosigkeit wie folgt erklärt werden:
Starre oder undurchlässige Membran: Wenn die Membran zwischen dem Verdrängenden und dem Verdrängten zu starr oder undurchlässig ist, haben unbewusste Inhalte Schwierigkeiten, ins Bewusstsein zu gelangen. Dies bedeutet, dass kreative Impulse, die oft aus dem Unbewussten stammen, blockiert oder unterdrückt werden. Ohne Zugang zu diesen tieferen, unbewussten Schichten ist es für eine Person schwierig, neue, kreative und imaginative Ideen zu entwickeln, was zu Phantasielosigkeit führen kann. Eine Person, die stark kontrolliert und rationalisiert, kann Schwierigkeiten haben, Zugang zu den kreativen Ressourcen ihres Unbewussten zu finden, was zu einer gewissen Phantasielosigkeit führen kann.
Übermäßige Verdrängung: In Fällen, in denen eine Person viele unbewusste Inhalte stark verdrängt, kann dies ebenfalls zu Phantasielosigkeit führen. Durch die Verdrängung wird verhindert, dass diese unbewussten Inhalte in irgendeiner Form (z. B. durch kreative Tätigkeiten) verarbeitet werden. Dadurch bleibt das kreative Potenzial ungenutzt und die Person könnte sich in konventionellem oder rigidem Denken verfangen. Jemand, der traumatische Erlebnisse verdrängt hat und dadurch emotional stark eingeschränkt ist, könnte auch in seinem kreativen Ausdruck gehemmt sein, was zu einem Mangel an Phantasie führt.
Angst vor dem Unbewussten: Manche Menschen entwickeln eine Angst vor den Inhalten ihres Unbewussten, was zu einer Verstärkung der Verdrängungsmechanismen führt. Diese Angst kann die Membran zwischen Bewusstsein und Unbewusstem weiter verhärten, wodurch der Zugang zu kreativen Impulsen und damit zur Phantasie blockiert wird. Eine Person, die Angst hat, unangenehme oder beängstigende Gedanken oder Impulse zuzulassen, könnte auch unbewusst ihre kreative Energie blockieren, was zu Phantasielosigkeit führen kann.
Eingeschränkte Ich-Funktionen als Gründe für Phantasielosigkeit
In diesem Zusammenhang wären zu nennen: Das Überwiegen von negativen Affekten wie Aversionen, Ärger, Wut und Ekel. Das eingeschränkte Erleben von positiven Emotionen wie Anerkennung, Freude. Humor, Witz, Begeisterung, Zufriedenheit, Glücksempfinden und ästhetischem Genuss. Dass ein humorloser Mensch phantasievoll sein kann, wird man sich wohl kaum vorstellen können.
Ebenso könnte das kategoriale Denken auch eingeschränkt sein und Phantasielosigkeit verursachen. Hierzu gehört die Verwendung undifferenzierter stereotyper Kategorien der Bewertung wie z.B.: “Das ist gut” versus “das ist schlecht”. Oder “das ist Kunst” versus “das kann weg”. Oder: “Das kann ich” versus “das kann ich nicht”. Ebenso könnte die permanent wiederholte Frage: “Ist es so jetzt richtig?” Phantasieproduktion abwürgen. Dies würde in etwa dem Konzept der “konvergenten Produktion” von J.P. Guilford entsprechen.
Defizite im Bereich der Selbst-Psychologie als Gründe für Phantasielosigkeit
Ein sehr schlechtes Selbstwertfühl, verbunden mit der Überzeugung untalentiert zu sein, könnte Phantasielosigkeit begünstigen. Hierzu gehören ebenfalls übertriebene Ansprüche an sich selbst mit der Überzeugung, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden zu können. Damit einhergehen: starke Schamgefühle, die verhindern, irgendetwas von sich zu zeigen oder hören zu lassen. Ein verzerrtes negatives Selbstbild könnte ein Grund für Lampenfieber sein und deshalb Ängste auslösen, etwas von sich zu zeigen. Diverse negativistische Grundüberzeugungen und spezielle Ressentiments gegen z.B. Kunst und Künstler könnten Phantasielosigkeit verschlimmern. Der Impuls auf eigene Hervorbringungen negativ zu reagieren, könnte zu einer Blockade von nachhaltiger Phantasietätigkeit führen.
Zusammenfassung
Aus der psychoanalytischen Perspektive kann Phantasielosigkeit als Folge einer starren, undurchlässigen oder übermäßig geschützten Membran zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten verstanden werden. Wenn unbewusste Inhalte nicht ins Bewusstsein gelangen, bleibt das kreative Potenzial ungenutzt, und die Fähigkeit zur Phantasie und Vorstellungskraft kann eingeschränkt sein. Ebenso könnten defizitäre Ich-Funktionen und Beeinträchtigungen im Selbsterleben Gründe für Phantasielosigkeit sein.
Phantasielosigkeit als Ausdruck einer eingeschränkter Intentionalität
Ebenso kann die Theorie der Intentionalität verwendet werden, um zu erklären, warum viele Menschen sich durch ihr Handeln in der äußeren Welt verwirklichen wollen, und wie eine reduzierte Intentionalität möglicherweise zu Phantasielosigkeit führen könnte.
Intentionalität und Selbstverwirklichung
Intentionalität ist ein philosophisches Konzept, das sich auf die Ausrichtung des Bewusstseins auf Objekte, Inhalte oder Ziele bezieht. Einfach ausgedrückt, bedeutet es, dass menschliches Bewusstsein immer „gerichtet“ ist – Menschen denken, fühlen oder handeln immer in Bezug auf etwas Bestimmtes, sei es eine Idee, ein Ziel oder ein physisches Objekt.
Intentionalität und Handeln: Menschen suchen oft nach Möglichkeiten, ihre innere Welt (Wünsche, Überzeugungen, Werte) in der äußeren Welt zu manifestieren. Diese Manifestation ist eine Form der Selbstverwirklichung, bei der Individuen durch ihre Handlungen und Schöpfungen ihre inneren Absichten in der physischen Welt ausdrücken. Zum Beispiel kann ein Künstler seine Gefühle und Gedanken durch Malerei ausdrücken, während ein Wissenschaftler durch Forschung versucht, seine intellektuellen Interessen zu verwirklichen.
Selbstverwirklichung: Die Idee der Selbstverwirklichung basiert auf der Annahme, dass Menschen ein tiefes Bedürfnis haben, ihre inneren Potenziale auszuleben und ihre Ziele zu erreichen. In diesem Sinne ist Intentionalität ein zentraler Aspekt des kreativen und produktiven Handelns, weil sie Menschen dazu motiviert, ihre inneren Absichten in greifbare Ergebnisse umzusetzen.
Phantasielosigkeit und reduzierte Intentionalität
Wenn man die Intentionalität als treibende Kraft für kreatives Handeln und Selbstverwirklichung betrachtet, könnte Phantasielosigkeit aus einer reduzierten Intentionalität und einem verminderten Wunsch zur Selbstverwirklichung resultieren.
Reduzierte Intentionalität: Wenn eine Person eine geringe Intentionalität aufweist, fehlt möglicherweise die innere Ausrichtung oder das Ziel, das sie motiviert, etwas in der äußeren Welt zu erschaffen oder zu verändern. Dies könnte zu einer passiven Lebensweise führen, in der der Wunsch, eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen, abgeschwächt ist. Die Person könnte weniger Interesse daran haben, ihre Gedanken und Fantasien aktiv in die Realität umzusetzen, was zu Phantasielosigkeit führen könnte. Jemand, der kaum Ziele oder Ambitionen hat und dem es an klaren inneren Motiven fehlt, könnte sich weniger dazu motiviert fühlen, kreativ zu sein oder neue Ideen zu entwickeln.
Konsum statt Kreation: In einer Gesellschaft, in der Konsum stark betont wird, könnte der Fokus auf Konsum anstelle von Kreation ebenfalls zu einer reduzierten Intentionalität führen. Wenn Menschen zunehmend darauf ausgerichtet sind, äußere Reize und Produkte zu konsumieren, statt selbst etwas zu erschaffen, könnte dies die Entwicklung von Fantasie und Kreativität hemmen. Die passive Aufnahme von Inhalten ersetzt die aktive Gestaltung der eigenen Umwelt, was zur Phantasielosigkeit beitragen kann. Eine Person, die viel Zeit damit verbringt, Medien zu konsumieren (Filme, Serien, Social Media) und wenig Raum für eigene kreative Aktivitäten lässt, könnte ihre Fähigkeit zur Fantasie und ihre Motivation zur aktiven Selbstverwirklichung reduzieren.
Mangel an innerem Antrieb zur Selbstverwirklichung: Selbstverwirklichung erfordert einen inneren Antrieb, eine Motivation, die oft aus einem tiefen persönlichen Wunsch entsteht, etwas Bedeutendes oder Persönliches zu schaffen. Wenn dieser Antrieb geschwächt ist, könnte dies dazu führen, dass die Person sich weniger mit kreativen Prozessen auseinandersetzt und eher passive Konsummuster entwickelt. Eine Person, die keine starken inneren Ziele hat und deren Intentionalität schwach ausgeprägt ist, könnte weniger phantasievoll und weniger kreativ sein, da sie keinen Anreiz sieht, ihre inneren Potenziale zu entfalten.
Zusammenfassung zum Aspekt der Intentionalität
Die Theorie der Intentionalität bietet eine nützliche Perspektive, um Phantasielosigkeit zu erklären. Phantasielosigkeit könnte als Folge einer reduzierten Intentionalität betrachtet werden, bei der Menschen weniger motiviert sind, ihre inneren Absichten in die äußere Welt zu übertragen. Dieser Mangel an kreativem und produktivem Handeln könnte dazu führen, dass Menschen mehr konsumieren, anstatt selbst etwas zu schaffen, was wiederum die Entwicklung von Phantasie und Kreativität hemmt. Die Förderung von Intentionalität, etwa durch das Setzen persönlicher Ziele und das Entwickeln eines tieferen Verständnisses der eigenen Wünsche und Motive, könnte ein Weg sein, um Phantasielosigkeit zu überwinden und die Kreativität zu steigern.
Zusammenfassung
Wie sich aus dem Beitrag ergibt, können sehr viele verschiedene Gründe für Phantasielosigkeit vorliegen und im Einzelfall wird der eine oder andere Aspekt von größerer Bedeutung sein. Es kommen Aspekte des Bildungssystems in Betracht, ebenso wie Voraussetzungen im Bereich der Persönlichkeitsstruktur. Auch die allgemeinen kulturellen Rahmenbedingungen für die Entscheidung zwischen Selbermachen oder Konsumieren sind nicht ganz unwichtig.
Die Betrachtung der Problematik aus verschiedenen Blickwinkeln und mithilfe unterschiedlicher theoretischer Ansätze wird der Problematik eher gerecht und zeigt, dass alle theoretischen Konstruktionen nur Teilaspekte aufhellen können. Erst die multiperspektivische Betrachtungsweise eröffnet auch gerade für den Einzelfall die Möglichkeit für die komplexere Beschreibung einer gehemmten oder blockierten Phantasietätigkeit.
Weiterlesen: Psychotherapiepraxis in Berlin, Wolfgang Albrecht