Lacans Ansatz
Lacans Konzept der Psychoanalyse, besonders seine Vorstellung des „Spiegels“, des „Realem“, „Symbolischem“ und „Imaginärem“, sowie seine Theorien über die Bildung des Subjekts, beinhalten eine latente Fixierung auf die frühe Beziehung des Kindes zur Mutter, die oft als symbiotisch und potenziell sado-masochistisch charakterisiert wird. Diese Fixierung hat weitreichende Implikationen für die psychoanalytische Praxis und stellt eine Herausforderung dar, wenn es darum geht, den Patienten aus dieser symbiotischen Verstrickung zu befreien.
Die sado-masochistische Symbiose
Lacan beschreibt die frühe Mutter-Kind-Beziehung als eine Form der symbiotischen Einheit, in der das Kind noch keine klare Trennung zwischen sich und der Mutter erlebt. In dieser Phase entwickelt sich das Kind innerhalb des „Imaginären“, einem Bereich, der durch Bilder, Identifikationen und die ständige Suche nach dem verlorenen „Objekt“ (die Mutter) geprägt ist. Das Kind ist in dieser Phase vollständig auf die Mutter bezogen und nimmt sie als ein unteilbares Objekt wahr, was eine sado-masochistische Dimension annehmen kann, wenn man die Mutter als das allmächtige und bedrohliche „große Andere“ versteht, das sowohl Nahrung als auch Verweigerung, sowohl Liebe als auch Abweisung symbolisiert.
Das Spiegelstadium und die Formation des Ichs
Lacans Theorie des Spiegelstadiums beschreibt, wie das Kind sich selbst erstmals als getrenntes Ich wahrnimmt, jedoch durch die Identifikation mit einem Bild – einem Spiegelbild oder einem anderen Objekt. Dieses Bild ist jedoch trügerisch und symbolisiert einen Bruch zwischen dem realen, unvollständigen Selbst und dem idealisierten Bild. Das Ich formt sich also durch eine Illusion der Einheit und Ganzheit, während es tatsächlich auf einem Mangel basiert. Diese Vorstellung verstärkt die Idee, dass das Subjekt immer auf eine symbiotische Einheit zurückgeworfen wird, die es niemals wirklich erreichen kann. Diese Spannung erzeugt eine latente sado-masochistische Beziehung zur Mutter als dem ersten und zentralen Anderen.
Das Symbolische und die Funktion des Vaters
Lacan argumentiert, dass der Eintritt in das „Symbolische“ – das heißt in die Welt der Sprache, Gesetze und sozialen Strukturen – durch das „Nom-du-Père“ (das Gesetz des Vaters) ermöglicht wird. Diese symbolische Kastration trennt das Kind von der Mutter und ihrer symbiotischen Bindung. Dennoch bleibt das Problem bestehen, dass diese Trennung nie vollständig ist; das Verlangen nach der verlorenen Einheit mit der Mutter bleibt bestehen und wird in verschiedenen Formen des Begehrens wiederholt. Somit bleibt die ursprüngliche symbiotische Verstrickung latent bestehen, trotz des Versuchs, sie durch das symbolische Gesetz zu überwinden.
Klinische Behandlungskonzepte und deren Grenzen
Lacans klinische Praxis konzentriert sich auf die Analyse des Diskurses und die Offenlegung der zugrunde liegenden Strukturen des Unbewussten. Indem er die „Übertragung“ und die „Gegenübertragung“ untersucht, versucht Lacan, den Patienten zu einer neuen Einsicht in seine Beziehung zum „großen Anderen“ zu führen. Jedoch kritisieren einige Theoretiker, dass Lacans Methodik oft nicht ausreicht, um den Patienten tatsächlich aus der symbiotischen Verstrickung zu befreien. Dies liegt daran, dass Lacans Methode den Patienten oft in einer endlosen Analyse des Begehrens und der Identifikation gefangen hält, ohne einen klaren Weg zur Auflösung dieser grundlegenden Symbiose zu bieten. Der Fokus auf das „mangelnde Objekt“ und die ständige Rekonstruktion von Begehren kann dazu führen, dass der Patient in einer ständigen Wiederholungsschleife bleibt, ohne jemals eine echte Befreiung von der Mutterfigur und ihrer symbolischen Repräsentation zu erreichen.
Schlussfolgerung
Lacans Konzept der Psychoanalyse fixiert sich latent auf die unaufgelöste sado-masochistische Symbiose des Kindes mit der Mutter, indem es die grundlegende Rolle dieser Beziehung in der Entwicklung des Subjekts betont und Schwierigkeiten aufzeigt, diese Beziehung vollständig zu transzendieren. Seine klinischen Behandlungskonzepte, die sich auf die Dekonstruktion des Diskurses und die Analyse des Unbewussten konzentrieren, bieten zwar tiefgehende Einblicke, aber oft keinen ausreichenden Weg, um den Patienten effektiv aus dieser symbiotischen Verstrickung zu lösen.
Der Ansatz Margaret Mahlers
Margaret Mahlers Konzept der Psychoanalyse, insbesondere ihre Theorie der „psychischen Geburt des Menschen“ und die Phasen der Individuation und Separation, bietet einen strukturierten Entwicklungsprozess, der das Potenzial hat, eine Fixierung auf eine unaufgelöste sado-masochistische Symbiose zwischen Kind und Mutter zu überwinden.
Symbiotische Phase und ihre Herausforderungen
Mahler beschreibt die frühe Entwicklung des Kindes als eine Abfolge von Phasen, beginnend mit der autistischen Phase und der symbiotischen Phase. In der symbiotischen Phase (ca. 2-5 Monate) erlebt das Kind sich und die Mutter als eine ungeteilte Einheit. Hier können die Wurzeln einer sado-masochistischen Beziehung entstehen, wenn das Kind die Mutter als omnipräsent und allmächtig erlebt. Sollte diese symbiotische Einheit zu stark sein oder nicht adäquat durch spätere Entwicklungsphasen aufgelöst werden, könnte das Kind in einer solchen Beziehung „steckenbleiben“, was zu pathologischen Fixierungen führen kann.
Individuation und Separation: Der Weg zur Autonomie
Mahler betont jedoch, dass die symbiotische Phase nur ein vorübergehendes Stadium ist, das idealerweise in die Separation-Individuation-Phase übergeht. Diese Phase beginnt etwa im Alter von 5 bis 36 Monaten und besteht aus mehreren Subphasen:
Differenzierungsphase (5-10 Monate): Das Kind beginnt, sich selbst als getrennt von der Mutter wahrzunehmen. Diese Phase markiert den Beginn der Auflösung der symbiotischen Einheit.
Übungsphase (10-16 Monate): Das Kind beginnt, seine neu gewonnene Autonomie zu erkunden, indem es sich körperlich von der Mutter entfernt, z.B. durch Krabbeln und Laufen. Dies fördert das Bewusstsein für die eigene Unabhängigkeit.
Wiederannäherungsphase (16-24 Monate): Das Kind erkennt die Realität der Trennung und beginnt, sich mit den damit verbundenen Gefühlen von Verlust und Angst auseinanderzusetzen. Hier ist eine ambivalente Haltung gegenüber der Mutter typisch, da das Kind sowohl Nähe sucht als auch Unabhängigkeit erlangen möchte.
Phase der Konsolidierung und emotionale Objektkonstanz (24-36 Monate): In dieser Phase entwickelt das Kind ein stabiles inneres Bild der Mutter, das es ihm ermöglicht, ihre Abwesenheit zu tolerieren und seine Autonomie weiter zu festigen.
Überwindung der symbiotischen Fixierung
Mahler sieht in der erfolgreichen Durcharbeitung der Separation-Individuation-Phase die Möglichkeit, eine Fixierung auf die symbiotische Beziehung zu überwinden. Wenn das Kind in diesen Phasen adäquate Unterstützung und Bestätigung durch die Mutter erfährt, kann es sich zu einem autonomen Individuum entwickeln, das in der Lage ist, stabile Beziehungen zu anderen aufzubauen, ohne in eine pathologische Abhängigkeit zurückzufallen. Diese Entwicklung ermöglicht es dem Kind, sich von der frühen symbiotischen Bindung zu lösen und eine reifere, realistischere Beziehung zur Mutter (und später zu anderen Bezugspersonen) zu entwickeln, die nicht mehr von sado-masochistischen Dynamiken geprägt ist.
Klinische Implikationen
In der psychoanalytischen Praxis legt Mahler großen Wert auf die Unterstützung des Individuationsprozesses. Therapeutische Interventionen, die sich auf die Förderung der Autonomie und die Bearbeitung von Trennungsängsten konzentrieren, können dazu beitragen, dass der Patient sich von einer pathologischen Symbiose befreit. Dies geschieht durch das Erkennen und Verarbeiten von Entwicklungsblockaden, die während der Separation-Individuation-Phase aufgetreten sein könnten.
Schlussfolgerung
Margaret Mahlers Konzept der Psychoanalyse enthält daher tatsächlich die Möglichkeit, eine Fixierung auf eine unaufgelöste sado-masochistische Symbiose des Kindes mit der Mutter zu überwinden. Durch die Förderung der natürlichen Entwicklung von Separation und Individuation bietet ihre Theorie sowohl ein theoretisches als auch ein praktisches Fundament, um die Autonomie des Individuums zu stärken und pathologische Bindungsmuster zu durchbrechen.
Vergleich des Konzepts der illusionären Allmacht bei Lacan und Mahler
Das Konzept der illusionären Allmacht des Kleinkindes spielt sowohl bei Jacques Lacan als auch bei Margaret Mahler eine zentrale Rolle, jedoch wird es in ihren Theorien unterschiedlich verstanden und in verschiedene theoretische Rahmen eingebettet.
Lacans Konzept der illusionären Allmacht
Lacan behandelt die illusionäre Allmacht des Kleinkindes hauptsächlich im Kontext des Spiegelstadiums und des Imaginären.
Spiegelstadium: Lacan beschreibt, wie das Kleinkind im Alter von etwa sechs bis 18 Monaten sich selbst im Spiegel erkennt. Dieses Ereignis führt zur Bildung des „Ichs“ als eine Einheit, die jedoch illusionär ist. Das Kind identifiziert sich mit dem Bild im Spiegel, das ihm eine Vorstellung von Ganzheit und Kontrolle vermittelt. Diese Identifikation schafft eine Illusion von Allmacht, weil das Kind sich durch das Spiegelbild als kohärent und ganzheitlich wahrnimmt, obwohl es in der Realität noch abhängig und fragmentiert ist.
Imaginäres: Die illusionäre Allmacht des Kindes ist stark mit dem Bereich des Imaginären verbunden, in dem das Subjekt auf Bilder und Identifikationen zurückgreift, um sich selbst und die Welt zu verstehen. Diese Welt ist von Illusionen geprägt, insbesondere von der Illusion der Einheit und Allmacht, die das Kind im Spiegelstadium erlebt. Diese illusionäre Allmacht wird jedoch durch das Symbolische infrage gestellt, wenn das Kind in die Welt der Sprache und des Gesetzes (durch das „Nom-du-Père“) eintritt, wo es seine Grenzen und seine grundlegende Abhängigkeit erkennt.
Kritik und Bedeutung: Lacan sieht diese illusionäre Allmacht als notwendige, aber auch trügerische Entwicklungsstufe. Sie bildet die Grundlage für das Ich, ist jedoch eine Illusion, die das Subjekt im Laufe seines Lebens immer wieder herausfordert. Das Gefühl von Allmacht wird durch die Begegnung mit dem „großen Anderen“ und den Gesetzen der symbolischen Ordnung erschüttert.
Mahlers Konzept der illusionären Allmacht
Mahler betrachtet die illusionäre Allmacht des Kleinkindes vor allem im Rahmen der Separation-Individuation-Phase.
Übungsphase: In Mahlers Theorie tritt die illusionäre Allmacht insbesondere in der Übungsphase (etwa 10-16 Monate) zutage. Während dieser Phase beginnt das Kind, seine motorischen Fähigkeiten zu nutzen, um die Welt zu erkunden. Es erlebt eine Phase der Euphorie und des Entdeckerdrangs, die oft als „praktizierte Allmacht“ bezeichnet wird. Das Kind fühlt sich in dieser Zeit fast allmächtig, da es glaubt, dass es durch seine eigenen Aktionen die Welt kontrollieren kann.
Wiederannäherungsphase: In der darauf folgenden Wiederannäherungsphase (16-24 Monate) wird diese Illusion jedoch infrage gestellt, da das Kind die Realität seiner Abhängigkeit und der Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten zunehmend erkennt. Es beginnt, die Trennung von der Mutter intensiver zu erleben und erkennt, dass seine Allmacht nicht absolut ist. Diese Erkenntnis kann zu einer Ambivalenz gegenüber der Mutter führen, da das Kind sowohl die Nähe sucht als auch die Notwendigkeit verspürt, unabhängig zu werden.
Kritik und Bedeutung: Mahler sieht diese Phase der illusionären Allmacht als einen notwendigen Schritt in der Entwicklung des Kindes. Sie ermöglicht es dem Kind, Autonomie zu erleben und Selbstvertrauen aufzubauen. Gleichzeitig ist es entscheidend, dass das Kind später lernt, diese Illusion zu relativieren und eine realistischere Einschätzung seiner eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Dies geschieht durch die Erfahrungen der Frustration und die allmähliche Anerkennung der Grenzen, die die Realität und die Beziehung zur Mutter setzen.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Illusion versus Entwicklungsschritt: Während Lacan die illusionäre Allmacht des Kleinkindes eher als ein fundamentales und notwendiges Missverständnis im Prozess der Ich-Bildung betrachtet, das durch den Eintritt in das Symbolische korrigiert wird, sieht Mahler sie als einen normalen, vorübergehenden Entwicklungszustand, der im Rahmen der individuellen Reifung überwunden wird.
Symbolisches versus Realitätsprinzip: Bei Lacan wird die illusionäre Allmacht durch die symbolische Ordnung (Gesetz des Vaters, Sprache) infrage gestellt und dekonstruiert, während sie bei Mahler eher durch die allmähliche Konfrontation mit den Realitäten der äußeren Welt und den Grenzen der eigenen Fähigkeiten relativiert wird.
Funktion der Illusion: Bei Lacan ist die illusionäre Allmacht ein Teil des Prozesses, durch den das Subjekt sich als autonomes Ich konstituiert, auch wenn diese Autonomie letztlich illusionär bleibt. Bei Mahler hingegen ist die Illusion ein notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zu einer realistischeren Selbstwahrnehmung und Autonomie.
Schlussfolgerung
Zusammengefasst behandeln beide Theoretiker die illusionäre Allmacht des Kleinkindes als eine wichtige Phase in der psychischen Entwicklung, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Implikationen. Lacan fokussiert auf die Rolle dieser Illusion in der Bildung des Ichs und deren Dekonstruktion durch die symbolische Ordnung, während Mahler die Illusion als einen entwicklungspsychologischen Schritt betrachtet, der es dem Kind ermöglicht, Selbstvertrauen aufzubauen, bevor es die Grenzen der eigenen Fähigkeiten erkennt und akzeptiert.
Vergleich der Rolle der Sprache im Individuationsprozess bei Lacan und Mahler
Die Rolle der Sprache im Individuationsprozess des Kleinkindes wird sowohl bei Jacques Lacan als auch bei Margaret Mahler als entscheidend angesehen, jedoch interpretieren sie die Funktion und Bedeutung der Sprache in diesem Prozess auf unterschiedliche Weise.
Lacans Perspektive: Sprache als Eintritt in das Symbolische
Für Lacan spielt die Sprache eine zentrale Rolle im Prozess der Individuation, der durch den Eintritt in das Symbolische geprägt ist.
Das Symbolische und die Sprache: Lacan unterscheidet zwischen dem Imaginären, dem Realem und dem Symbolischen. Die Sprache gehört zur Ordnung des Symbolischen und ist das Medium, durch das das Kind in die soziale Welt eintritt. Durch die Sprache erlangt das Kind Zugang zu den Strukturen, Regeln und Gesetzen der Gesellschaft. Dieser Prozess wird auch als der Eintritt in das „Nom-du-Père“ bezeichnet, wo das Kind die Macht der Sprache und des Gesetzes des Vaters (als Symbolfigur) anerkennt und seine unmittelbare symbiotische Beziehung zur Mutter aufgibt.
Spaltung des Subjekts: Die Sprache führt zu einer Spaltung des Subjekts, da sie dem Kind nicht nur ermöglicht, sich als „Ich“ zu artikulieren, sondern es auch von seinem ursprünglichen, nicht-sprachlichen Selbst entfernt. Durch die Sprache wird das Kind in die symbolische Ordnung eingebunden, wo es lernt, seine Wünsche und Bedürfnisse gemäß den Regeln und Erwartungen der Gesellschaft auszudrücken und zu modulieren. Gleichzeitig entsteht eine Lücke zwischen dem „gesagten“ Selbst und dem „wirklichen“ Selbst, was zur Grundlage der lacanischen Idee des Mangels und der Spaltung wird.
Individuation durch Sprache: Die Sprache ermöglicht dem Kind die Entwicklung eines autonomen Ichs, aber dieses Ich ist stets fragmentiert und unvollständig, da es sich innerhalb einer symbolischen Ordnung bewegt, die nie vollständig die Realität erfassen kann. Die Sprache hilft dem Kind, sich zu individuieren, aber diese Individuation ist durch die symbolische Struktur der Sprache selbst begrenzt.
Mahlers Perspektive: Sprache als Instrument der Trennung und Differenzierung
Bei Margaret Mahler hat die Sprache ebenfalls eine wichtige Rolle im Prozess der Individuation, aber sie wird mehr als ein praktisches Instrument der Differenzierung und Trennung gesehen.
Separation-Individuation-Phase: Mahler beschreibt die Separation-Individuation-Phase als einen Prozess, in dem das Kind allmählich lernt, sich von der Mutter zu trennen und ein eigenständiges Individuum zu werden. In dieser Phase spielt die Sprache eine unterstützende Rolle, da sie dem Kind hilft, seine Erfahrungen zu benennen und seine Welt zu strukturieren.
Sprache als Werkzeug der Autonomie: Wenn das Kind Sprache erlernt, gewinnt es ein wichtiges Werkzeug, um seine Wünsche und Bedürfnisse unabhängig von der Mutter auszudrücken. Dies ist ein bedeutender Schritt in Richtung Autonomie, da das Kind nicht mehr auf nonverbale Mittel angewiesen ist, um mit der Mutter zu kommunizieren. Es kann nun eigenständig seine Gedanken und Gefühle formulieren und damit die Trennung von der Mutter vorantreiben.
Individuation durch Sprache: Für Mahler ist die Sprache ein Mittel, das den Individuationsprozess unterstützt, indem es dem Kind hilft, sich als eigenständiges Wesen zu verstehen und seine Beziehung zur Mutter neu zu gestalten. Sprache erleichtert die Differenzierung und fördert die Fähigkeit des Kindes, seine eigene Identität zu entwickeln, indem es sich durch Worte von der Mutter trennt.
Vergleich der Konzepte
Funktion der Sprache: Bei Lacan ist die Sprache ein zentrales Element des Symbolischen, das das Kind in die symbolische Ordnung integriert und dabei sowohl die Grundlage für das Ich als auch die Ursache für die Spaltung des Subjekts schafft. Bei Mahler ist die Sprache eher ein praktisches Instrument, das dem Kind hilft, seine Autonomie zu erlangen und sich von der Mutter zu trennen.
Individuation und Spaltung: Während Lacan die Sprache als Ursache für die grundlegende Spaltung des Subjekts betrachtet, sieht Mahler sie als unterstützenden Faktor im Prozess der Differenzierung und Individuation, der das Kind von der symbiotischen Bindung an die Mutter löst.
Soziale Dimension: Bei Lacan hat die Sprache eine starke soziale und strukturelle Dimension, da sie das Kind in die bestehende symbolische Ordnung einführt. Bei Mahler hingegen wird die Sprache vor allem als Mittel gesehen, das die individuelle psychologische Entwicklung des Kindes fördert und seine Fähigkeit zur Trennung und Selbstständigkeit unterstützt.
Schlussfolgerung
Zusammengefasst wird die Rolle der Sprache im Individuationsprozess des Kleinkindes bei Lacan und Mahler unterschiedlich interpretiert. Lacan sieht die Sprache als ein zentrales, aber auch problematisches Element, das das Subjekt in die symbolische Ordnung einführt und dabei seine grundlegende Spaltung verursacht. Mahler betrachtet die Sprache eher als ein hilfreiches Werkzeug, das dem Kind ermöglicht, seine Autonomie zu entwickeln und sich von der Mutter zu trennen, ohne jedoch eine so tiefgreifende Spaltung zu verursachen, wie Lacan sie beschreibt. Beide Ansätze unterstreichen die Bedeutung der Sprache, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf die Konsequenzen für die Entwicklung des Kindes.
Die Rolle der Libido und der psycho-sexuellen Entwicklung bei Lacan und Mahler im Vergleich
Die Rolle der Libido und der psycho-sexuellen Entwicklung des Kleinkindes wird bei Jacques Lacan und Margaret Mahler unterschiedlich konzeptualisiert und in ihren Theorien unterschiedlich gewichtet. Während beide Theoretiker die Bedeutung der frühen Kindheitsentwicklung anerkennen, setzen sie unterschiedliche Schwerpunkte und verwenden verschiedene theoretische Rahmen, um diese Prozesse zu verstehen.
Lacans Perspektive: Die Libido als Struktur des Begehrens
Libido als strukturelles Begehren: In der Theorie von Lacan spielt die Libido eine zentrale Rolle als Ausdruck des Begehrens, das über die gesamte Entwicklung des Subjekts hinweg wirkt. Lacan greift auf Freuds Konzept der Libido zurück, interpretiert sie jedoch stärker als strukturelles Phänomen des Begehrens, das sich in der Beziehung des Subjekts zum „großen Anderen“ und zu den symbolischen Ordnungen manifestiert.
Spiegelstadium und narzisstische Libido: Im Spiegelstadium, das zwischen sechs und 18 Monaten stattfindet, entwickelt das Kind ein erstes Bild von sich selbst, was zur Bildung des Ichs führt. Dieses Bild ist jedoch narzisstisch und vermittelt eine Illusion der Ganzheit und Allmacht. Die Libido ist in diesem Stadium stark narzisstisch geprägt, da das Kind sich mit seinem eigenen Spiegelbild identifiziert und ein ideales, aber illusorisches Selbstbild entwickelt.
Ödipuskomplex und Symbolische Kastration: Die psycho-sexuelle Entwicklung kulminiert in Lacans Theorie im Ödipuskomplex, der entscheidend für die Positionierung des Subjekts in der symbolischen Ordnung ist. Hier kommt es zur symbolischen Kastration durch das „Nom-du-Père“ (Gesetz des Vaters), das die ursprüngliche Einheit mit der Mutter unterbricht und das Subjekt in die Welt der symbolischen Gesetze und der Sprache einführt. Die Libido wird in dieser Phase auf das Begehren umgelenkt, das durch den Verlust und das Fehlen des ursprünglichen Objekts (die Mutter) geprägt ist. Dieses Begehren wird durch die symbolische Ordnung strukturiert und bleibt für Lacan das treibende Moment in der Entwicklung des Subjekts.
Begehren und Mangel: Lacan sieht die Libido weniger als einen biologisch determinierten Trieb, sondern mehr als Ausdruck eines fundamentalen Mangels, der das Subjekt dazu antreibt, ständig nach Erfüllung zu suchen, die jedoch nie vollständig erreicht werden kann. Die psycho-sexuelle Entwicklung ist daher bei Lacan eng mit der strukturellen Logik des Begehrens und der symbolischen Ordnung verknüpft.
Mahlers Perspektive: Libido in der emotionalen Entwicklung und Trennung
Libido in der symbiotischen Phase: Margaret Mahler konzentriert sich weniger auf die Libido als sexuelles Begehren im klassischen freudianischen Sinne, sondern betrachtet die Libido eher im Kontext der emotionalen Bindung zwischen Mutter und Kind. In der symbiotischen Phase (etwa 2-5 Monate) ist die Libido stark auf die Mutter fixiert, da das Kind und die Mutter eine symbiotische Einheit bilden. Die Triebenergie des Kindes ist darauf gerichtet, diese Einheit aufrechtzuerhalten, und es erlebt die Mutter als Teil seiner selbst.
Separation-Individuation und libidinöse Investitionen: In der nachfolgenden Separation-Individuation-Phase (ab etwa 5 Monaten) wird die libidinöse Energie des Kindes zunehmend auf die eigene Person und die Umwelt umgelenkt. Das Kind beginnt, sich von der Mutter zu differenzieren und seine Libido in die Erkundung der Welt zu investieren. Diese Phase ist von ambivalenten Gefühlen geprägt, da das Kind einerseits seine Autonomie erlangt, andererseits aber auch Angst vor der Trennung verspürt.
Emotionale Objektkonstanz: Ein zentraler Punkt in Mahlers Theorie ist die Entwicklung der emotionalen Objektkonstanz, die es dem Kind ermöglicht, die libidinöse Bindung an die Mutter aufrechtzuerhalten, auch wenn sie physisch abwesend ist. Diese Fähigkeit ist ein wichtiger Schritt zur Reifung der Persönlichkeit und zur Entwicklung stabiler, unabhängiger Beziehungen im späteren Leben.
Libido und psychosexuelle Reifung: Während Mahler nicht die klassische psycho-sexuelle Entwicklung (wie Freud sie beschreibt) in den Vordergrund stellt, betrachtet sie die Umleitung der Libido von der symbiotischen Bindung an die Mutter hin zu einer differenzierten und autonomen Selbstwahrnehmung als zentralen Aspekt der emotionalen Reifung. Die sexuelle Dimension der Libido wird bei Mahler weniger betont als die emotionale und soziale.
Vergleich der Konzepte
Fokus auf Symbolisches vs. Emotionale Bindung: Lacan legt großen Wert auf die Rolle der Libido im Kontext des symbolischen Begehrens und der Spaltung des Subjekts, während Mahler die Libido eher im Kontext der emotionalen und sozialen Entwicklung betrachtet, mit einem Fokus auf die Trennung und Differenzierung von der Mutter.
Begehren vs. Bindung: Bei Lacan ist die Libido eng mit dem Begehren und dem Mangel verknüpft, die durch die symbolische Kastration strukturiert werden. Bei Mahler ist die Libido stärker mit der Bindung und der Entwicklung von Autonomie durch den Prozess der Separation-Individuation verbunden.
Psychosexuelle Entwicklung: Lacan integriert die psychosexuelle Entwicklung in einen breiteren Rahmen, der die Beziehung des Subjekts zur symbolischen Ordnung und zum „großen Anderen“ betont. Mahler hingegen konzentriert sich auf die emotionale und soziale Entwicklung und die Umleitung der libidinösen Energie als Teil des Prozesses der Individuation.
Schlussfolgerung
Zusammengefasst untersuchen Lacan und Mahler die Rolle der Libido und der psycho-sexuellen Entwicklung des Kleinkindes aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Lacan versteht die Libido als Ausdruck eines strukturellen Begehrens, das das Subjekt in die symbolische Ordnung einführt und dessen Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Mahler hingegen betrachtet die Libido im Rahmen der emotionalen und sozialen Entwicklung, wobei sie sich auf die Trennung von der Mutter und die Entwicklung der Autonomie konzentriert. Beide Theorien entwickeln interessante Perspektiven, aber sie setzen unterschiedliche Akzente auf die Bedeutung und Funktion der Libido im Entwicklungsprozess des Kindes.
Der Froschkönig: Das sprechende Tier als Symbol für eine regressive Position bei Lacan
Im Spiel kann sich ein Kind mit einem Tier identifizieren. Könnte man dann, Lacan folgend, damit argumentieren, dass der Mensch in Gestalt eines Tieres, das sprechen kann, sich zwar einerseits der Sprache bemächtigt, aber andererseits sich in der Gestalt des Tieres, die symbolische Ordnung des Vaters ablehnt, um sich damit wieder in die regressive Welt der vorsprachlichen Mutterbeziehung zu begeben. Diese Argumentation erscheint im Rahmen der Theorie von Jacques Lacan durchaus schlüssig.
Identifikation mit dem Tier im Spiel: Das Imaginäre und die Sprache
In Lacans Theorie des Spiegelstadiums ist das Imaginäre der Bereich, in dem das Kind sich mit Bildern und Repräsentationen identifiziert, die ihm eine Illusion von Ganzheit und Einheit vermitteln. Wenn sich ein Kind im Spiel mit einem Tier identifiziert, könnte man sagen, dass es sich eine Figur des Imaginären aneignet, die weniger durch die Regeln und die symbolische Ordnung (das Symbolische) strukturiert ist. Ein Tier symbolisiert in diesem Kontext oft das Instinktive, Triebhafte und Vorsprachliche, also Aspekte, die außerhalb der symbolischen Ordnung liegen.
Sprache und das Symbolische: Aneignung und Verweigerung
Die Sprache ist für Lacan der Eintritt in die symbolische Ordnung, die durch das Gesetz des Vaters (das „Nom-du-Père“) strukturiert ist. Die Fähigkeit eines Tieres zu sprechen, wäre im Lacanschen Sinne eine paradoxale Figur, da Tiere traditionell außerhalb der symbolischen Ordnung stehen und daher nicht an diese gebunden sind. Wenn sich das Kind als sprechendes Tier vorstellt, bemächtigt es sich der Sprache – und damit der Macht, die mit ihr einhergeht – aber auf eine Weise, die die Regeln und Normen der symbolischen Ordnung unterläuft.
Ablehnung der symbolischen Ordnung und Rückzug ins Imaginäre
Durch diese Identifikation mit einem Tier, das spricht, könnte das Kind symbolisch die Ordnung des Vaters ablehnen. Es akzeptiert die Sprache, aber nicht die mit ihr verbundene symbolische Struktur und deren Gesetze. Stattdessen kehrt es zu einem Zustand zurück, der von Trieben und dem Unbewussten dominiert wird – eine Welt, die näher an der frühen symbiotischen Beziehung zur Mutter liegt, die Lacan mit dem Vorsprachlichen und dem Realen verbindet. In dieser Phase wird das Kind nicht durch die Symbolik und die Regeln des Vaters begrenzt, sondern bleibt in einer imaginären Welt, in der es frei von den Zwängen des Symbolischen agiert.
Regressiver Rückzug auf die vorsprachliche Beziehung zur Mutter
In diesem Kontext kann die Identifikation mit einem Tier als eine Art regressiver Rückzug interpretiert werden. Das Kind bewegt sich symbolisch zurück in eine Welt, in der es nicht den Einschränkungen und Gesetzen der symbolischen Ordnung unterworfen ist, sondern sich in einer eher instinktiven, triebhaften Welt wiederfindet, die der frühen, vorsprachlichen Mutter-Kind-Beziehung näher ist. Diese Regression könnte als ein Versuch des Kindes gedeutet werden, die Unabhängigkeit vom symbolischen Gesetz des Vaters wiederherzustellen und eine Art imaginäre Autonomie zu behaupten.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Aus lacanianscher Sicht könnte man also argumentieren, dass das Kind durch die Identifikation mit einem sprechenden Tier eine widersprüchliche Position einnimmt: Es akzeptiert die Sprache, verweigert aber gleichzeitig die symbolische Ordnung, die diese Sprache strukturieren würde. Dadurch könnte das Kind symbolisch die Regeln und Gesetze des Vaters ablehnen und sich in eine regressive, vorsprachliche Welt zurückziehen, die stärker durch das Imaginäre und das Reale (das Triebhafte und das Unbewusste) geprägt ist. Dieser Rückzug wäre ein Versuch, sich der symbolischen Kastration zu entziehen und eine verlorene Einheit mit der Mutter wiederherzustellen – ein zentrales Thema in Lacans psychoanalytischer Theorie.
Interpretation des Märchens “Der Froschkönig” auf der Basis der Theorien von Lacan
Eine Interpretation des Märchens „Der Froschkönig“ auf Basis der Überlegungen zu Lacans Theorie könnte folgendermaßen aussehen:
Die Tiergestalt als Repräsentation der Regression
Der Frosch im Märchen kann als Symbol für eine regressive Position verstanden werden, die dem Vorsprachlichen und dem Triebhaften nahe ist. Diese Position ist mit der frühen symbiotischen Beziehung zur Mutter verbunden, einer Phase, in der das Kind noch nicht vollständig in die symbolische Ordnung der Gesellschaft eingetreten ist. In dieser Phase erlebt das Kind eine Art „tierhafte“ Existenz, die nicht durch die Gesetze und Normen der symbolischen Ordnung (des Vaters) eingeschränkt ist.
Im Märchen ist der Frosch verzaubert, was als eine Form der Verdrängung oder Transformation dieser regressiven Position interpretiert werden kann. Der Frosch steht für den Teil des Subjekts, der sich dem Eintritt in die symbolische Ordnung widersetzt und sich stattdessen in eine triebhafte, vorsprachliche Existenz zurückgezogen hat. Diese tierische Gestalt repräsentiert also eine Regression hin zu einem Zustand, in dem das Subjekt von der symbolischen Kastration, die durch das „Nom-du-Père“ repräsentiert wird, befreit ist.
Die Verzauberung als symbolische Kastration
Die Verzauberung des Prinzen in einen Frosch könnte als eine symbolische Kastration verstanden werden, bei der das Subjekt in eine Existenz außerhalb der symbolischen Ordnung verbannt wird. Dieser Zustand der Verzauberung ist jedoch kein glücklicher oder idealer Zustand, sondern wird als Fluch empfunden. Der Frosch (der Prinz) ist in einem Zwischenzustand gefangen, der weder zur menschlichen, symbolischen Ordnung noch vollständig zur triebhaften, vorsprachlichen Welt gehört. Diese Ambivalenz spiegelt die Spannung zwischen dem Wunsch, die symbolische Ordnung abzulehnen, und der Notwendigkeit, in diese Ordnung zurückzukehren, wider.
Die Begegnung mit der Prinzessin: Die Konfrontation mit dem Symbolischen
Die Begegnung des Froschs mit der Prinzessin repräsentiert die Konfrontation des Subjekts mit der symbolischen Ordnung. Die Prinzessin, die eine zentrale Figur in der symbolischen Ordnung ist, erinnert den Frosch (den verzauberten Prinzen) an seine ursprüngliche Menschlichkeit und die Notwendigkeit, in die symbolische Ordnung zurückzukehren. Ihr anfänglicher Widerwillen, den Frosch als gleichwertig zu behandeln, symbolisiert die Ablehnung der regressiven Position durch die Gesellschaft, die die symbolische Ordnung aufrechterhält.
Der Kuss als Rückkehr ins Menschsein
Der Kuss der Prinzessin, der den Frosch wieder in einen Prinzen verwandelt, kann als Akt der Wiederaufnahme in die symbolische Ordnung interpretiert werden. Durch den Kuss wird der Frosch aus seiner regressiven, vorsprachlichen Position befreit und in die symbolische Ordnung zurückgeführt. Der Frosch wird wieder zum Menschen, was die Akzeptanz und Integration der symbolischen Gesetze (des „Nom-du-Père“) bedeutet. Dieser Akt markiert das Ende der Regression und den Beginn einer neuen Phase, in der das Subjekt seine Position in der symbolischen Ordnung akzeptiert und sich von der illusionären Einheit mit der Mutter löst.
Schlussfolgerung: Das Märchen als psychische Entwicklungsgeschichte
In dieser Interpretation kann „Der Froschkönig“ als Allegorie für die psychische Entwicklung des Subjekts gesehen werden. Die Tiergestalt des Froschs symbolisiert eine regressive Flucht aus der symbolischen Ordnung, die als verzauberter Zustand erlebt wird. Die Rückkehr ins Menschsein durch den Kuss der Prinzessin steht für die notwendige Reintegration in die symbolische Ordnung, die das Subjekt von seiner illusionären und triebhaften Bindung an die vorsprachliche Mutterwelt befreit.
Das Märchen zeigt somit den Prozess, in dem das Subjekt die symbolische Kastration akzeptiert, die Notwendigkeit der Trennung von der Mutter anerkennt und sich in die soziale und symbolische Welt der Erwachsenen integriert. Die Verwandlung des Froschs in einen Prinzen durch die Liebe der Prinzessin symbolisiert die erfolgreiche Überwindung der Regression und die Reifung des Subjekts hin zu einer vollständigen, symbolisch integrierten Identität.
Interpretation des Märchens “Der Froschkönig” auf der Basis der Theorien von Mahler
Die Entwicklungstheorie von Margaret Mahler, insbesondere ihr Konzept der Separation-Individuation, bietet eine interessante Perspektive zur Interpretation des Märchens „Der Froschkönig“. Mahler konzentriert sich auf den Prozess, in dem das Kind sich von der symbiotischen Einheit mit der Mutter löst und eine eigenständige Identität entwickelt. Im Folgenden wird das Märchen unter diesem Gesichtspunkt interpretiert.
Der Frosch als Symbol der Symbiotischen Phase
In Mahlers Theorie durchläuft das Kind zu Beginn seines Lebens die symbiotische Phase, in der es sich noch als untrennbar mit der Mutter verbunden erlebt. Der Frosch im Märchen könnte diese Phase symbolisieren, in der das Kind (hier der Prinz) noch nicht vollständig als eigenständiges Individuum existiert, sondern sich in einer Art fusionierten, noch nicht differenzierten Zustand befindet. Der Frosch lebt in einem Zustand, der die ursprüngliche Einheit mit der Mutter widerspiegelt – in einem feuchten, mütterlichen Milieu (der Brunnen), das die Geborgenheit und die Abhängigkeit des Kindes in der frühen Entwicklung symbolisiert.
Die Verzauberung als Entwicklungsstillstand
Die Verwandlung des Prinzen in einen Frosch kann als eine Art Entwicklungsstillstand oder Fixierung verstanden werden, in der das Subjekt (der Prinz) in einer frühen Phase der Entwicklung gefangen ist. In Mahlers Terminologie wäre dies ein Zustand, in dem das Kind nicht erfolgreich die notwendige Trennung und Individuation durchlaufen hat und somit in einer regressiven, symbiotischen Einheit verbleibt. Der Frosch, der eigentlich ein Prinz ist, hat es nicht geschafft, aus dieser frühen Phase herauszutreten und seine eigene Identität zu formen.
Die Prinzessin als Katalysator für Separation und Individuation
In Mahlers Theorie ist der Prozess der Separation-Individuation durch das ständige Wechselspiel von Nähe und Distanz, Bindung und Trennung gekennzeichnet. Die Prinzessin im Märchen könnte als Repräsentantin der Welt außerhalb der symbiotischen Einheit betrachtet werden – als eine Figur, die das Kind dazu auffordert, sich von der Mutter zu lösen und eine eigene Identität zu entwickeln. Die anfängliche Abneigung der Prinzessin gegenüber dem Frosch könnte die Widerstände symbolisieren, die im Entwicklungsprozess auftreten, wenn das Kind mit den Anforderungen der Autonomie konfrontiert wird.
Der Kuss und die Transformation: Integration und Objektkonstanz
Der Kuss der Prinzessin, der den Frosch wieder in einen Prinzen verwandelt, kann im Sinne Mahlers als ein Symbol für die erfolgreiche Integration und die Erreichung von Objektkonstanz verstanden werden. In Mahlers Theorie bedeutet Objektkonstanz, dass das Kind lernt, die Mutter (und andere Bezugspersonen) als dauerhaft und stabil zu erleben, auch wenn sie nicht physisch anwesend sind. Der Kuss könnte daher symbolisieren, dass der Prinz (das Kind) in seiner Entwicklung voranschreitet, sich von der symbiotischen Abhängigkeit löst und eine eigenständige Identität entwickelt, die ihm erlaubt, in die „reale“ Welt der zwischenmenschlichen Beziehungen einzutreten.
Die Rückverwandlung des Froschs in einen Prinzen steht für den erfolgreichen Abschluss der Separation-Individuation. Der Prinz kann nun als eigenständiges Subjekt auftreten, das nicht länger in der regressiven Phase der Symbiose verharrt, sondern in der Lage ist, stabile Beziehungen aufzubauen und sich als unabhängiges Individuum zu behaupten.
Schlussfolgerung: Das Märchen als Allegorie für den Entwicklungsprozess
Im Rahmen von Margaret Mahlers Theorie kann „Der Froschkönig“ als eine Allegorie für den Entwicklungsprozess des Kindes betrachtet werden, der von der symbiotischen Einheit mit der Mutter über die Herausforderungen der Trennung und Individuation bis hin zur Bildung einer stabilen, autonomen Identität führt.
Der Frosch symbolisiert die Phase der Regression oder das Feststecken in einer frühen Entwicklungsphase, in der die Trennung von der Mutter noch nicht vollzogen ist.
Die Prinzessin fungiert als ein Katalysator, der den Prozess der Trennung und Individuation in Gang setzt, indem sie den Frosch (das Kind) dazu bringt, sich weiterzuentwickeln.
Der Kuss und die darauf folgende Transformation stehen für die erfolgreiche Überwindung der frühen symbiotischen Bindung und die Annahme einer neuen, autonomen Identität, die es dem Subjekt ermöglicht, in die Welt der reifen, zwischenmenschlichen Beziehungen einzutreten.
Das Märchen erzählt also die Geschichte eines Kindes, das den schwierigen, aber notwendigen Weg von der frühen Abhängigkeit zur eigenständigen Identität geht, und es unterstreicht die Bedeutung der Integration von neuen, reifen Beziehungen, um diesen Prozess zu vervollständigen.
Die Utopie der Erlösung aus der sado-masochistischen Symbiose im Märchen “Der Froschkönig”.
Im Märchen „Der Froschkönig“ kann man durchaus eine sado-masochistische Symbiose erkennen, die im Verlauf der Geschichte aufgelöst wird. Um dies zu verstehen, sollten wir die Beziehung zwischen der Prinzessin und dem Frosch (der verzauberte Prinz) näher betrachten.
Die sado-masochistische Symbiose
Eine sado-masochistische Symbiose in psychologischen und psychoanalytischen Theorien bezieht sich auf eine Beziehung, in der Macht, Kontrolle und Abhängigkeit auf destruktive Weise miteinander verwoben sind. Eine solche Beziehung ist von Ambivalenz, Dominanz, Unterwerfung und wechselseitigem Zwang geprägt. Im Märchen können wir eine solche Dynamik in der Interaktion zwischen der Prinzessin und dem Frosch erkennen:
Der Frosch (der Prinz) ist in einer niedrigen, unterwürfigen Position gefangen, da er nicht mehr seine menschliche Gestalt hat und sich als ekelhaftes Tier der Macht der Prinzessin unterwerfen muss. Er bittet die Prinzessin, ihm die Nähe zu gewähren, die er sich wünscht, und ist dabei auf ihre Gnade angewiesen.
Die Prinzessin wiederum ist zunächst widerwillig und angewidert von der Vorstellung, den Frosch bei sich zu haben. Sie empfindet seine Forderungen (wie das Schlafen in ihrem Bett) als lästig und unangenehm, folgt diesen aber letztlich doch. Diese erzwungene Nähe und die Weigerung der Prinzessin, den Frosch als gleichwertig anzuerkennen, können als sadistische Aspekte ihrer Position interpretiert werden, während die Unterwerfung des Frosches als masochistisch gesehen werden kann.
Auflösung der sado-masochistischen Symbiose
Im Verlauf des Märchens sehen wir, wie diese destruktive Symbiose aufgelöst wird:
Widerwille und Ekel der Prinzessin: Zunächst ist die Prinzessin gezwungen, gegen ihren Willen eine Beziehung mit dem Frosch einzugehen, was die sadistischen und masochistischen Elemente ihrer Interaktion betont. Der Frosch nimmt eine unterwürfige Haltung ein, während die Prinzessin ihm widerwillig nachgibt.
Der Wendepunkt: Ein zentraler Moment im Märchen ist, als die Prinzessin den Frosch schließlich an die Wand wirft, was symbolisch als Akt der Aggression und der Ablehnung der bisherigen, destruktiven Beziehung verstanden werden kann. Dieser Akt könnte als Versuch gedeutet werden, die bestehende sadistische Bindung zu durchbrechen.
Die Verwandlung: Überraschenderweise führt dieser aggressive Akt nicht zur weiteren Zerstörung der Beziehung, sondern zur Verwandlung des Frosches in einen Prinzen. Diese Verwandlung markiert die Auflösung der sadomasochistischen Dynamik: Der Frosch (der Prinz) wird von seiner unterwürfigen, erniedrigten Position befreit und kehrt zu seiner ursprünglichen, menschlichen Gestalt zurück. Diese Wiederherstellung seiner Menschlichkeit und Gleichwertigkeit löst die bisherige Macht-Asymmetrie zwischen ihm und der Prinzessin auf.
Die neue Beziehung: Vom Zwang zur Wahl
Nach der Verwandlung des Frosches in einen Prinzen wandelt sich die Beziehung zwischen ihm und der Prinzessin:
Gleichwertigkeit und Respekt: Die vorherige Asymmetrie und die damit verbundene destruktive Dynamik weichen einer neuen Beziehung, die auf Gleichwertigkeit und Respekt beruht. Der Prinz ist nun nicht mehr in einer masochistischen Position gefangen, und die Prinzessin muss ihn nicht mehr widerwillig ertragen. Stattdessen treten sie in eine freiwillige und harmonische Verbindung ein.
Auflösung der Symbiose: Die sado-masochistische Symbiose, die durch Zwang und ungleiche Machtverhältnisse geprägt war, wird durch eine gesunde Beziehung ersetzt, in der beide Partner auf Augenhöhe miteinander interagieren können.
Schlussfolgerung
Im Märchen „Der Froschkönig“ wird eine sado-masochistische Symbiose durch die Entwicklung der Beziehung zwischen der Prinzessin und dem Frosch aufgelöst. Die anfangs destruktive Dynamik, die durch Zwang und ungleiche Machtverhältnisse gekennzeichnet ist, findet ihre Auflösung in einem symbolischen Akt der Aggression (dem Werfen des Frosches an die Wand), der zur Transformation des Frosches in einen Prinzen führt. Diese Verwandlung markiert den Übergang zu einer gleichwertigen und respektvollen Beziehung, in der die vorherige Symbiose durch eine reifere Beziehung ersetzt wird.
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