Die Bestimmung des Bösen aus psychologischer Sicht soll an dieser Stelle mithilfe von idealtypischen Charakterisierungen näher bestimmt werden.
Das Böse, um das es hier aus psychologischer Sicht geht, betrifft zum einen das identifizierbare Böse in Form von bekannten Prototypen des Bösen, die sich für eine psychologische Betrachtungsweise anbieten. Hier möchte ich mich vor allem beziehen auf die literarischen unterschiedlichen Figuren des Klingsor und des Macbeth. Die Auseinbandersetzung mit diesen Prototypen kann helfen, das böse Handeln von Einzelnen im Rahmen von toxischen Beziehungen oder tyrannischem Machtmissbrauch besser zu verstehen. Als zusätzlichen Prototypen möchte ich an dieser Stelle noch den anonymen Amokläufer, den destruktiven Verführer (Rattenfänger) und den latent bösen vermeintlichen Gutmenschen in der Figur des Bob Rusk verwenden. Schließlich sei noch verwiesen auf den zum Bösen radikalisierten Introvertierten und Ängstlichen. Zunächst jedoch noch eine Vorbemerkung zur Abgrenzung des Bösen bei einzelnen vom strukturellen Bösen.
Abgrenzung zum strukturellen Bösen
Im Gegensatz zu diesen Phänomen des identifizierbaren Bösen bei einzelnen, gibt es selbstverständlich allgegenwärtig auch Phänomene und Motive des strukturellen Bösen, wie sie uns in der Geschlechterspannung (dem Hass der Frauen auf die Männer und dem Hass der Männer auf die Frauen), der destruktiv-aggressiven Triebstruktur als conditio humana, der gesellschaftlichen Hackordnung, dem unbedingten Willen, Macht über andere ausüben zu müssen, hasserfüllten politischen Interessenkonflikten und Herrschaftsverhältnissen, existenzbedrohlichen ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen, religiös-gesellschaftlichen Opferritualen vom Kannibalismus über Beschneidung bis hin zum Mobbing. Diese Erscheinungsformen des Bösen eignen sich weniger für eine psychologische Betrachtungsweise, weil sie überwiegend sozial-ökonomisch bzw. sozial-psychologisch abgeleitet werden müssten. Deshalb werden Aspekte des strukturellen Bösen in diesem Text nur gestreift, obwohl es sich hierbei auch um interessante Fragestellungen handelt wie z.B. zum Zusammenhang von gesellschafts-politischem Gestaltungswillen und Destruktivität oder das Kultivieren von Ressentiments zur Einschüchterung und ideologischen Identitätsstiftung der eigenen sozialen Gruppe.
Zum strukturellen Bösen gehört auch als Übergangsphänomen die Banalität des Bösen. Wenn Menschen sich anderen gegenüber destruktiv verhalten, weil sie einen Vorteil darausziehen können (ein Gehalt von einem totaliltäten Staat oder einem anderen Arbeitgeber beziehen, Lob, Vergünstigungen etc. erwarten können, wenn sie sich so verhalten, wie man es von Ihnen erwartet).
Das Böse in seiner Banalität ist kaum noch individuell motiviert und gehört deshalb schon mehr zum Bereich des strukturellen Bösen. Hierzu zähle ich auch Phänomene von Einschüchterung in sozialen Systemen wie z.B. von Untergebenen, Spielarten wie Mobbing und Bossing. Bei diesen Erscheinungsformen des Bösen kann man kaum noch individuelle Motivation nachvollziehen, sie gehören mehr zum Bereich des strukturellen Bösen, weshalb ich an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen möchte. Menschen, die sich innerhalb destruktiver sozialer Strukturen böse verhalten, würden dies in einer anderen sozialen Umgebung vermutlich so nicht tun. Ihr primitives Verhalten ist geprägt von Autoritätshörigkeit, Anpassungsbereitschaft, Mitläufertum, Gewissenlosigkeit und Gedankenlosigkeit.
Erscheinungsformen des Bösen aufgrund einer individuellen Motivationslage
Wenn man böse Taten oder Absichten einzelner betrachtet, fällt oberflächlich ins Auge, dass es sich um eine Form indiviudell motivierter destruktiver Aggression handelt, die darauf abzielt, anderen Lebewesen/Tieren/Menschen aus selbstsüchtigen Gründen Schaden zuzufügen, nicht selten sie zu quälen oder herabzuwürdigen, letzten Endes ihren Tod anzustreben oder zumindest in Kauf zu nehmen. Beliebte Spielformen des Bösen sind sexueller oder emotionaler Missbrauch, Herabwürdigung nahestehender Menschen in toxischen Beziehungen, Betrug, Verfolgung Andersdenkender, Diskriminierung von Menschen, die als andersartig oder schwach empfunden werden.
Der einzelne Täter z.B. als Amok-Läufer als einer der hier angesprochenen bösen Mensch ist einerseits respektlos und rücksichtslos, andererseits meint er aus seiner subjektiven Perspektive heraus, aufgrund von Ungerechtigkeiten anderer, seine bösen Taten zurecht begehen zu müssen oder zu dürfen. Es kann sein, dass er Opfer nicht nur einkalkuliert sondern sich sogar möglichst viele Opfer wünscht, um das vermeintlich Gute (in seinem Sinne) erzwingen zu können, dass er sich Respekt verschaffen möchte, ebenso dass er aus Ressentiment seine Opfer beseitigen möchte, weil er sie seinerseits als Verkörperung des Bösen ansieht.
Was als böse betrachtet wird, ist also sowohl vom gesellschaftlichen Kontext wie auch von subjektiven Bewertungen nicht unabhängig zu betrachten. Allerdings muss unterstellt werden, dass überwertiges Geltungsstreben, Rachebedürfnisse, Ressentiments, Herrschsucht, Mordlust oder Lust zum Quälen nicht selten rationalisiert werden mit politischen, rassistischen oder sexistischen Begründungen, die als sekundären Rechtfertigung dienen.
Prototypen des indiviuduell nachvollziehbare Bösen
Die hier verwendeten fünf psychologischen Prototypen des Bösen sind der Gutmensch Bob Rusk, der anonyme Amokläufer, der selbsternannte Rächer im Form des verführerischen Rattenfängers, Klingsor und Macbeth
Aus den Biographien von Tätern, die keinen eindueutigen strukturellen Rahmen für ihr böses Tun haben, kann man nachvollziehen, dass es sich um Menschen handelt, die einerseits als Anlagefaktoren über eine gesteigerte Form von Aggressivität, eine unterentwickelte emotionale Intelligenz, verminderte oder nicht vorhandene Empathie, aufgeblähten Narzissmus oder gekränkten Narzissmus verfügen. Kränkungen können daraus resultieren, dass Menschen in sozialen Gruppen Zurückweisung erlebt haben oder ihnen wesentliche Lebensziele (wie z.B. ein eigenes Kind, ein anerkannter Beruf etc.) versagt blieben. Die Kette von Kränkungen in der persönlichen Biographie kann bereits in der Familie beginnen und kann sich später auf soziale peergroups im Jugendalter erstrecken. Aber auch im Rahmen von beruflichen Gruppen, Akademien, Freizeitgruppen wie Sportvereinen können sich kränkende Ausgrenzungen oder biographisches Scheitern subjektiv manifestieren. Entsprechende Kränkungen können aber auch dadurch ausgelöst werden, dass eine soziale Gruppe, der der Täter einmal voller Stolz angehörte, durch eine gesellschaftliche Veränderung dramatisch an Ansehen verloren hat und er sich jetzt eher rechtfertigen und schämen muss, ein Teil dieser Gruppe gewesen zu sein. Eine Kränkung kann aber auch schon darin begründet sein, dass jemand von sich als ein Sieger so vollständig überzeugt ist, dass er jede noch so kleine Niederlage, einen noch so kleinen Misserfolg als grandioses Scheitern erlebt, das auf jeden Fall verhindert oder durch aggressiv aufgeladene Grandiosität kompensiert werden muss.
Das Motiv der Rache bei narzißtischer Kränkung
Ein gefährdeter Mensch kann aus Kränkungen, der Erfahrung von Ungerechtigkeiten verschiedenster Art die Berechtigung ableiten, sich rächen zu dürfen oder sogar rächen zu müssen. Entscheidend dabei ist, dass diese Vorstellungen nicht flüchtig auftreten, sondern dass es vielmehr zu einer Fixierung auf diese Ideen kommt, sodass die Verwirklichung boshafter Ideen letztlich als subjektiv zwingend notwendig angesehen wird. Niederträchtige Menschen haben das Gefühl, dass ihnen mehr Anerkennung zusteht oder zustehen sollte als ihnen zuerkannt wird. Diese Lücke meinen sie durch böse Taten schließen zu dürfen und im Sinne einer festen Überzeugung mit Vorsatz letztendlich schließen zu müssen.
Der Rattenfänger
Die Geschichte des Rattenfängers ist die eines erfolgsverwöhnten Menschen, dem ein wenig bedeutendes Missgeschick zuteil wird. Er wird um seinen Lohn betrogen. Dies ist schlimm genug, kann aber nicht rechtfertigen, dass er sich in unverhältnismäßiger Weise rächt, indem er seine Verführungskünste dazu verwendet, eine ganze Generation in den Untergang zu führen. Entscheidend für seine böse Tat ist aber nicht nur sein Motiv und die Entschlossenheit seiner durch Rache motivierten Handlungen, sondern vor allem auch die Bereitschaft seiner Opfer, sich in einen grandiosen Rausch begeben zu wollen und ihm hingebungsvoll ins Verderben zu folgen. Der Co-Narzissmus seiner Opfer ist der entscheidende Aspekt beim bösen Handeln des Rattenfängers, das im wesentlichen auf seinen Verführungskünsten beruht.
Klingsor
Die Figur des bösen Menschen, der erst durch unverarbeitete soziale Ausgrenzung gewissermaßen durch gekränkten Narzißmus zum Rächer wird, ist z.B. literarisch von Wolfram von Eschenbach in der Figur des Klingsor paradigmatisch geschrieben worden. Insofern könnte man diese Form des identifizierte Bösen, wenn es beim Einzelnen quasi pathologisch auftritt, auch als Klingsor-Syndrom bezeichnen.
Von der Genese des Bösen durch Ausgrenzung sind aber nicht nur die offensichtlich Unterpriviligierten betroffen. Auch ein tyrannischer Herrscher (oder eine Herrscherkaste) kann sich zurückgewiesen fühlen, nicht zuletzt vom eigenen Volk. Aus dem daraus erwachsenen Aggressisonsstau können Herrscher Machtmittel einsetzen, um Oppositionelle unter Druck zu setzen, sie auszugrenzen zu quälen, einzusperren oder zu beseitigen. Der Machterhalt wird im Rahmen dieses Kalküls zum Motiv, dem dann alle Mittel recht sind.
Das Motiv der Abwehr von Depression durch hasserfülltes Handeln
Wenn Aggressionen dazu dienen, den Sozialstatus im Rahmen von gesellschaftlichen Hierarchien zu regulieren, so kann man schlussfolgern, dass Menschen an der Spitze der Pyramide ihre Aggressionen nahezu ungehindert (nicht zuletzt durch die Anwendung struktureller Macht) ausleben wollen/können/dürfen, während Menschen, deren Sozialstatus sehr gering ist, ihre Aggressionen weitgehend unterdrücken müssen.
Abgelehnte Menschen, die frustriert und deshalb aggressiv sind, werden daher ein größeres Konfliktpotential aufbauen. Menschen an der Spitze der sozialen Pyramide werden in der Regel weniger frustriert sein und deshalb weniger Aggressionen aufbauen, zumal sie diese auch noch leichter abreagieren können und im Rahmen struktureller Gewalt ihre Macht leichter auch verantwortungslos zu boshaftem Tun missbrauchen können.
Von besonderer Bedeutung ist deshalb die Unterscheidung zwischen dem strukturell Bösen, das durch gesellschaftlich mutwillig angeeignete, verliehene oder aufgrund von Schwäche der Massen zugestandene Macht häufig kaschiert ausgeübt wird und dem identifizierten Bösen, das als Anmaßung einzelner oder einer kleinen Randgruppe von der Mehrheitsgesellschaft als illegitim empfunden und abgelehnt wird. Das strukturell Böse gilt in den allermeisten Fällen als gesellschaftlich legitimiert. Wer damit als einzelner nicht zurechtkommt, kassiert gewöhnlich die Diagnose „depressives Erleben“ oder gilt schlicht als „Versager“. Die Schwächung der Opfer wird nicht als Folge des strukturell Bösen verstanden sondern als deren Krankheit oder persönliche Schwäche diagnostiziert.
Der Aggressionsstau bei den Unterpriviligierten, den sozial nicht oder schlecht Integrierten, ist deshalb zunächst eine besondere Herausforderung, dem vor allem das Verstehen gelten muss. Dies vor allem auch dann, wenn sich vemeintlich oder auch tatsächlich Unterpriviligierte zusammentun und versuchen, ihre Ressentiments durch gemeinsames böses Handeln auszuleben und sich dafür ihre geeigneten schwachen Opfer suchen.
Der Amokläufer
Was macht die hierbeschriebenen Täter zu potentiell bösartigen Menschen? Sicherlich wird ein Mensch, der keine soziale Anerkennung findet, zu Depressionen neigen und dazu tendieren, sich im Extremfall sogar zu suizidieren. Die böse Tat oder die böse Haltung eines Menschen muss deshalb in erster Linie als Auflehnung gegen den drohenden Suizid oder den drohenden psychischen Zusammenbruch verstanden werden. Böse Taten enden in der Regel ja auch manchmal tatsächlich mit dem kalkulierten Suizid der Täter. Eine Sonderform bösen Tuns ist der erweiterte Suizid, bei dem jemand aufgrund von gesellschaftlichem Scheitern sich nicht einfach selbst tötet, sondern den eigenen Tod durch den Mord an vielen unschuldigen Opfern selbst noch einmal in Form eines Amoklaufs zu einem Fanal macht. Böse Taten können auch durch den sozialen Tod enden, indem der Täter kalkuliert, für den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen. Aber er tut dies mit dem Bewusstsein, dass er sich für die Verwirklichung seiner Ideen märtyrerhaft geopfert hat. In all diesen Fällen findet eine sado-masochistische Selbstaufwertung statt, die vorangegangene Kränkungen mit einer narzisstisch überhöhten Grandiosität kompensieren soll. Im Rahmen eines psycho-dynamischen Konfliktmodells könnte man sagen, dass es sich in diesen Fällen des Bösen um einen Kompromiss handelt zwischen dem Suizid und dem Impuls eines existenziellen Exhibitionismus mit dem Wunsch nach finaler Anerkennung oder zumindest grandioser Aufmerksamkeit.
Macbeth
Aus dieser Beschreibung wird offensichtlich, dass gerade das böse Handeln Einzelner, die sich an der Spitze einer sozialen Hierarchie befinden, keineswegs aus Kränkungen oder Unterprivilegiertheit heraus entsteht, sondern vielmehr aus dem Gefühl von Stärke und Überlegenheit, gesteigert durch Selbstüberschätzung und Verachtung für ihre Opfer. Im Gegensatz zum sozial verachteten ausgestoßenen treffen wir bei diesem Typus auf Menschen, die ein starkes Überlegenheitsgefühl, eine starke suggestive Wirkung auf andere haben, aber verantwortungslos bzw. gewissenlos damit umgehen. Wer einmal für sich herausgefunden hat, dass er andere beliebig manipulieren und einschüchtern kann, ist stark gefährdet, dieser Sucht zu verfallen, sich von dem Gefühl negativer Grandiosität nicht mehr befreien zu können. Zudem ist es für Menschen mit übersteigertem Narzissmus insbesondere unter der Maske des Gutmenschentums einfach zu leicht, der Lust zur Manipulation, die sich jede Lüge, Intrige etc. bedient, immer weiter zu folgen. Diese Form der Bösartigkeit kommt häufig im Rahmen von sozialen Beziehungen, diktatorischen Institutionen, Sekten etc. vor, wenn Menschen mit übersteigerten Narzissmus, vorhandene soziale Strukturen kapern, sie von innen aushöhlen und sich ihrer ohne echte Legitimation bedienen.
Der literarische Prototyp für diese Spielart des bösen Tyrannen ist die von William Shakespeare geschaffene Figur des schottischen Königsmörders Macbeth, der durch irrationalen Glauben an eine vermeintliche Vorsehung und an das Gesetz des Stärkeren, übersteigerten Ehrgeiz, Selbstüberschätzung, Ausnutzen von Naivität und Schwächen seiner Gegner zum rücksichtlosen paranoiden Massenmörder wird und letztlich nur durch den Zusammenschluss aller seiner Gegner gestoppt werden kann.
Der falsche Helfer, Bob Rusk und das latent Böse
Eine der größten Herausforderungen in der Psychologie besteht darin, das latente Böse bei den vermeintlichen Gutmenschen zu erkennen. Beispielhaft soll für diesen Typus Bezug genommen werden auf die Figur des Bob Rusk im Hitchcock Film Frenzy (1972). Es geht in dieser Romanverfilmung darum, dass ein Unschuldiger verdächtigt wird, ein dringend gesuchter Serienmörder zu sein. Der tatsächliche Mörder – Bob Rusk – bleibt aber lange Zeit im Hintergrund und schafft es sogar, seine bösen Taten, dem vermeintlichen Täter unterzuschieben. In diesem Falle haben wir es mit einem doppelten Motiv zu tun. Einmal geht es um das Begehen böser Taten, andererseits aber aus einer Position, die über jeden Zweifel erhaben zu sein scheint. Bob Rusk ist der Gutmensch aus dem Bilderbuch. Er hilft wo er nur kann, bezeichnet sich selbst als „guten Onkel“, bietet Unterkunft, gibt Tipps für die Pferdewette etc. Er setzt alles daran, um als unbescholtener Bürger zu erscheinen. Aber gerade diese Camouflage ist sein zweites Motiv. Es reizt ihn, gerade im Schafspelz unerkannt Böses zu tun. die Fiur des Bob Rusk bietet sich an für einen Krimi oder Thriller. Wesentlich schwieriger zu decodieren sind jedoch Erscheinungsformen des latent Bösen, bei denen die Handelnden ihre bösen, destruktiven Motive nicht nur nach Außen hin geheim halten, sondern auch vor ihrem eigenen Gewissen zu verbergen wissen. Die latente Bösartigkeit von Gutmenschen tarnt sich meist im Engagement für eine vermeintlich gute Sache. In einer Konfliktsituation werden sie immer vorgeben, dass ja schließlich der Zweck die Mittel heilige. Damit geben sie sich schließlich die Generalamnestie, für den Fall dass Widersprüche zutage treten sollten. In sozialen Organisationen versteckt sich das latent Bösatige in der Regel in mafiösen Strukturen, informellen Hierarchien, die Hinterzimmerpolitik betreiben und das Wirken der offiziellen Repräsentaten unterlaufen und konterkarieren.
Die kompensierte Schwäche in Form einer Radikalisierung hin zum Bösen – Hass als Instrument von Propaganda und Selbstradikalisierung
Bei dieser Spielart des Bösen findet man in der Regel anfangs introvertierte, im Grund unpolitische Menschen, die eher ein vermindertes Selbstwertgefühl haben. Sie sind meist geplagt von Selbstunsicherheit und sozialen Ängsten. Durch Misserfolge, vermeintliche Kränkungen und Propaganda können sie aber eine sekundäre Aufblähung ihres defizitären und fragilen Selbstwerts erfahren und mittels Fokussierung auf ihre vermeintliche Opferrolle einen abgrundtiefen Hass auf die vermeintliche Bedroher entwickeln. Durch völlige Konzentration auf ihren Hass stabilisieren sie ihr fragiles Selbstwertgefühl. Dieser Hass wirkt wie eine Droge, von der sie nicht mehr lassen können. Hierzu passt ganz gut das bekannte Nietzsche-Zitat üer den Fanatitker: „Der Fanatismus ist die einzige ‚Willensstärke‘, zu der auch die Schwachen und Unsicheren gebracht werden können.“ Selbstradikalisierung oder auch totalitäre Propaganda können an diesem Typus meist mühelos anknüpfen, wenn nur der Hass, an den die Verunsicherten glauben sollen, plausibel genug begründet werden kann.
Mischformen
Wenn diese Form des Bösen im Sinne eines übersteigerten Narzissmus, die darauf abzielt, im Dienste einer höheren Ordnung/Vorsehung und tyrannische Willkür, meint Opfer in kauf nehmen zu müssen, sich vermischt mit dem Motiv der narzisstischen Kränkung, d.h. dem Motiv, sich für vermeintlich mangelhaften Respekt rächen zu müssen, haben wir es mit einer sehr gefährlichen Mischung zu tun, weil sich das böse Handeln aus zwei voneinander unabhängigen Quellen speist, die sich gegenseitig verstärken.
Gibt es Mittel zur Gegenwehr? Kann man dem in psychologischer Hinsicht erscheinenden Bösen etwas entgegensetzen?
Es ist offensichtlich, dass gekränkter oder aufgeblähter Narzissmus, paranoider Geltungsdrang, Unreflektiertheit in Form von defizitärer Selbstbefragung, Gewissenlosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Empathiemangel, mangelhafter emotionale Intelligenz, Selbst-Idealisierung, Depression, soziale Erfolglosigkeit, Selbst-Isolierung oder Fremd-Ausgrenzung wesentliche und sehr unterschiedliche Komponenten zur Entwicklung hin zum Bösen darstellen. Bei depressiven narzisstisch gekränkten Menschen kann chronische Frustration, Aggressionsstau die Tendenz zu überwertiger destruktiver Aggressivität verstärken. Latenter Ärger oder latente Wut werden vor allem auch deshalb zum Nährboden des Bösen, weil die damit verbundenen ursächlichen Kränkungen, Ungerechtigkeiten und Absichten zur vermeintlichen Gegenwehr nicht mehr im offenen Austausch verhandelt werden, sondern nur noch im Rahmen von eigenbrötlerischem Grübeln existieren bzw. innerhalb von geschlossenen Subkulturen bzw. Oligarchien zirkulieren. Diese widmen sich dann einseitig der Pflege von Ressentiments, Ausarbeitung von Feindbildern bzw. dienen zur gegenseitigen Bestärkung der Legitimität von perversen Befriedigungsformen, die letztlich in dem Zwang zur Vernichtung der vermeintlichen Feinde gipfelt. Beim anonymen Amokläufer besteht eine wesentliche Maßnahme zur Prävention sicherlich auch in der Einschränkung der Waffenverfügbarkeit.
Können sozial-integrative bzw. sozial-therapeutische Maßnahmen helfen? Geschlossene -seien es symbiotische oder sektiererische – Sozialstrukturen stellen häufig einen Nährboden für das Böse dar. Im Gegensatz dazu werden konfrontativ-sozialintegrative Prinzipien einer offenen Gesellschaft, die einerseits immer nach der Legitimation von Machtausübung fragen und andererseits Ausgrenzung möglichst zu minimieren oder zu vermeiden sucht, ohne Intoleranten zu viel Toleranz zubilligen zu wollen, am ehesten geeignet sein, das Böse beim Einzelnen in Schach zu halten. Was dies so schwierig macht, ist vor allem, dass die potentiellen Opfer der bösen Menschen meist zu abhängig von der grandiosen Unterhaltung, gutgläubig, manipulierbar und kindlich-naiv sind und sich deshalb gar nicht vorstellen können, zu welcher extremen Niedertracht Menschen fähig sein können. Leider führt auch an dieser Stelle der unreflektierte Schluss der naiven Menschen von sich auf andere in die Irre. Zumal Menschen, die Böses in sich tragen, meist in hervorragender Weise dazu in der Lage sind, ihre wahren Beweggründe und Absichten so lange zu verbergen bis ihre Opfer von deren Harmlosigkeit und Gutartigkeit restlos überzeugt sind. Erst dann, wenn es zu spät ist, lassen sie ihre Maske des Gutmenschen fallen.
Nicht zuletzt trägt selbstverständlich auch der von bösen Dämonen heimgesuchte Einzelne wesentlich bei zu möglichen Gegenmaßnahmen, die ergriffen werden könnten und sollten. Als Unterprivilegierter, sozial abgelehnter oder Ausgestoßener sollte er sich fragen, ob eine Fixierung auf Ressentiments und Rachephantasien ihm nicht viel mehr selbst schaden als nützen. Als ein Mensch, dem es leicht fällt, andere in seinen Bann zu ziehen, sollte er sich fragen, ob die Chance des Gewissens ihm nicht doch helfen könnte, mit seinen Talenten verantwortungsvoller umzugehen, um nicht in der Sackgasse des Narzisstisch-Bösen paranoid verblendet zu enden. Wichtig ist in diesen Fällen, eigene Erfolge nicht als schicksalhafte Überlegenheit in Verbindung mit verblendeter Überheblichkeit, der Vorstellung von Unbesiegbarkeit und Verachtung der Schwächeren umzudeuten.