Vorbemerkung
Die Empathie gilt als ein wesentlicher Aspekt der sozialen Intelligenz und beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, sich in Sichtweisen, Befindlichkeiten, Absichten, Motive, Emotionen eines anderen Menschen einzufühlen, sich gewissermaßen in dessen Schuhe zu stellen, dessen Standpunkt einzunehmen, die Welt durch dessen Brille zu betrachten, ohne dabei eigene Gefühle, Sichtweisen etc. auszublenden.
Diese Fähigkeit zur passageren Perspektivenübernahme und Gefühlsmitschwingung ist ein wesentlicher Teil sozial-kommunikativer Kompetenz eines Menschen und fehlt in der Regel nur dort, wo defizitäre Aspekte der Erziehung, soziale Verwahrlosung, starke narzisstische Bedürfnisse und/oder eine starke autistische Prägung diese Fähigkeit nicht zur Entwicklung kommen lassen oder einschränken.
Bei näherer Betrachtung fällt allerdings auf, dass es nicht die eine Empathie als solche gibt, sondern vielmehr sehr verschiedene Spielarten der Empathie, die sogar in ihrer Ausrichtung extrem voneinander abweichen. Insbesondere bei der Partnerwahl oder bei der Psychotherapeutenauswahl ist auf die Qualität der Empathie zu achten und Vorsorge zu treffen, nicht mit negativen Spielarten der Empathie konfrontiert zu werden.
Die Spielarten der Empathie im Kurzüberblick
Konstruktive Empathie
Zunächst ist hier zu nennen die konstruktive Form der Empathie. Sie versucht andere zu verstehen, Interessengegensätze zu erfassen, da wo möglich zu einem Interessenausgleich zu kommen. Da wo es Sinn macht, tendiert sie auch dazu unterstützend zu sein, was eine gewisse Bereitschaft zur Konfrontation miteinschließt.
Defensive Empathie
Die defensive Form der Empathie verwendet die Fähigkeit zur Einfühlung vor allem dazu, es anderen recht machen zu müssen/wollen, sich selbst zurückzunehmen. Ziel ist dabei, sich vor Kritik, man sei egoistisch etc. zu schützen. Folge dieser Spielart ist, dass sie nicht hilfreich ist, die eigene Position, die eigenen Gefühle deutlich genug von denen der anderen abzugrenzen und einen ausreichend kritischen Standpunkt gegenüber anderen einzunehmen. Nicht zuletzt ist sie auch in der Regel eine Einladung zur Ausbeutung bzw. zum Missbrauch.
Manipulative Empathie
Bei der lediglich verführerischen Variante gehen die Akteure meist sehr zielsicher auf besondere Bedürfnislagen anderer Menschen ein, um durch deren vorderdergründige Bedürfnisbefriedigung diese Menschen emotional von sich abhängig zu machen. Die toxisch-manipulative Variante besteht darin, anderen Menschen vorzugaukeln, dass sie nahe an ihr Ziel herangekommen sind, eine Bedürfnisbefriedigung unmittelbar bevorsteht, nur um diese im letzten Moment zu frustrieren. Diese zweite Form der manipulativen Empathie ist extrem gefährlich, zum einen, weil sie schwer zu durchschauen ist und zum anderen, weil sie die mentale Gesundheit ihrer Opfer zu zerstören droht, zu Realitätsverlust und zu Depressionen und Suizidalität führen kann. Im englischen wird diese Variante auch als „dark empathy“ bezeichnet.
Dissoziale Empathie
Die psychopathische oder dissoziale Form der Empathie zielt darauf ab, bei anderen Menschen deren Schwächen blitzschnell zu erfassen, um sie als Opfer eigener unlauterer z.B. betrügerischer oder anderer ausbeuterischer Absichten zu identifizieren. Am Verhalten und Äußerungen anderer stellen Menschen dieser Art bei ihren Opfern deren Neigung zur psychischen Instabilität und den Grad einer möglichen sozialen Vereinsamung oder Isolierung fest. Die späteren Opfer sind meist ahnungslos und halten die vorgetäuscht freundliche dissoziale Empathie für eine echte freundliche Geste und gehen naiv auf die vordergründig zuvorkommenden Annäherungen der Täter ein.
Parasitäre Empathie
Ähnlich wie die letzte Spielart, zielt auch die parasitäre Empathie darauf ab, eigene Vorteile aus der Einfühlungsfähigkeit zu ziehen. Dabei geht es nicht so sehr um betrügerische Machenschaften, sondern mehr darum, durch die Informationen, die über anderen Menschen und deren Innenwelt gesammelt werden, Dispositive von deren Manipulierbarkeit, ihrer Geeignetheit zum emotionalen Missbrauch zu entwickeln. Dies kann sich vielleicht nur darauf erstrecken, andere auszuhorchen, um die Informationen dann an Dritte weitergeben zu können oder eine Angriffsstelle für psychische Manipulation oder Verführbarkeit zu finden und diese dann im geeigneten Moment auch einzusetzen. Eine sehr beliebte Variante dieser Spielart ist eine verständnisvolle Zuwendung, die dann später dazu genutzt wird, dem anderen Vorwürfe zu machen, Fehler vorzuhalten oder ihn herabzusetzen. Auch beim Co-Alkoholiker oder Co-Narzissten wird man häufiger auf diese Form der Empathie treffen. Im gesellschaftlichen Bereich handelt es sich um Menschen, die als Wissenschaftler oder Politiker, die Ansichten anderer entweder lächerlich machen oder aber behaupten, es sei ursprünglich ihre eigene Idee, Sichtweise etc. gewesen. Sie verhindern, dass andere auch mal einen Punkt machen und versammeln nur drittklassige Claqueure um sich.
Kanalisierte Empathie
Die kanalisierte Form der Empathie findet man mitunter bei Angehörigen sozialer Berufe, die durch Studium und Berufspraxis gelernt haben, anderen Menschen aktiv zuzuhören und sich ihnen sehr gezielt zuzuwenden. Gerade aber bei diesen Spezialisten fällt immer wieder auf, dass sie mit Beziehungsfiguren, die nicht zu ihrem Klientel gehören, extrem schroff und unempathisch umgehen. In der Vorgeschichte findet man oft eine mit Aversionen verbundene Verweigerung der Empathie gegenüber nahestehenden Menschen. Die Ausbildung zum Empathie-Spezialisten im Beruf dient dann meist als Feigenblatt einer Verweigerung der Empathie im sozialen Alltagsleben. Diese Variante findet lässt sich auch häufig bei sehr erfolgreichen Unternehmern wiederfinden, die im Geschäftsleben extrem kundenfreundlich sind, aber außerhalb dieser Sphäre, wo es nicht primär ums Geldverdienen geht, extrem kaltherzig auftreten.
Latent sadistische Empathie
Die latent sadistische Form der Empathie zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Vertreter sich immer noch mal rückversichern müssen, ob sie den Anderen auch wirklich ganz genau verstanden haben. Sie bitten dann um weitere Erklärungen des Anderen oder warten noch länger ab bevor sie etwas sagen, weil sie irgendetwas noch zu wenig verstanden haben. Bei dieser Spielart verbirgt sich die Empathie-Verweigerung in einem scheinbar akribischen Bemühen um ein angeblich möglichst genauen Verständnis des Anderen. Ein Scheitern der Empathie wird dann letztlich auf dessen mangelhafte Fähigkeit geschoben, sich zu artikulieren. Menschen mit sadistischer Empathie sind darauf aus, andere auf eine unmerkliche Art aber mit kühler Berechnung zu verunsichern und letztlich zu entwerten.
Paranoide Empathie
Bei dieser Spielart werden Aspekte der Empathie in Verbindung mit psychologischer Menschenkenntnis genutzt, um paranoide Ängste abzumildern oder bestätigt zu finden. Menschen allgemein und Psychotherapeuten im Besonderen mit paranoider Empathie sind zu meiden. Menschen mit paranoiden Empathie können nur andere Menschen akzeptieren, die sie 100% kontrollieren können. Diese Form der negativen Empathie ist für Laien am wenigsten leicht zu durchschauen, vergleichbar etwa mit der sadistischen Form der Empathie, der man auch nicht so leicht auf die Schliche kommt. Im gesellschaftspolitischen Bereich handelt es sich um Menschen, denen Meinungsumfragen nicht ausreichen, um die Sichtweise der Bevölkerung zu erkunden. Sie verlassen sich lieber auf deren aktive Überwachung und tendieren zur informellen, verschleierten Machtausübung, weshalb ihnen in vielen Fällen kaum beizukommen ist.
Mischformen
In Einzelfällen ist davon auszugehen, dass die beschriebenen Typen sich in der Realität nicht ganz klar voneinander abgrenzen lassen, sondern vielmehr Mischformen, Übergangsformen oder Kombinationen der beschriebenen Spielarten darstellen.
Interessant in dem Zusammenhang ist auch noch die Abgrenzung der Empathie von der Nachahmung, die man in Form der Imitation als Vorstufe der Empathie und in Form der Mimesis als deren artifizielle Sublimationsstufe ansehen kann. Manche mäßig erfolgreichen Schauspieler sind ganz gut im sogennnten Nachäffen, aber schaffen es nicht, sich auf die Ebene der einfühlenden Mimesis hochzuarbeiten. Es reicht dann aber meist immer noch für Comedy, was auch eine Leistung darstellt.
Empathie und Ekpathie
Zum Abschluss noch ein Hinweis zur zur Unterscheidung von Empathie und Ekpathie. Wer empathisch ist, kann sich in die Gefühlswelt eines anderen Menschen hineinversetzen, ohne sich von seiner eigenen Gefühlswelt zu entfremden. Bei der Ekpathie geht es darum, dies in ausgewählten Situationen gerade nicht zu tun. Dies kann vorteilhaft sein, wenn die andere Person manipulative, chaotische oder negative Emotionen entwickelt und es sinnvoll ist, sich davon abzugrenzen und einen betont rationalen Standpunkt einzunehmen.
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