Westermarck und Freud: Die Anthropologie des Inzesttabus

Einleitung

In diesem Beitrag sollen die Forschungen von Edvard Westermarck (1862–1939) mit denen von Sigmund Freud (1856–1939) vor allem hinsichtlich des Inzesttabus verglichen werden.

Westermarck und das Inzesttabu

Edvard Westermarck (1862–1939) war ein finnischer Anthropologe, Soziologe und Philosoph, der vor allem für seine Arbeiten über Moral, Ehe, Familie und Inzesttabus bekannt ist. Seine Forschungen erstreckten sich über mehrere interdisziplinäre Bereiche, darunter Soziologie, Ethnologie, Philosophie und Evolutionsbiologie. Hier sind einige seiner wichtigsten Arbeitsbereiche und Forschungsergebnisse:

Ehe und Familienstrukturen

Westermarcks bekanntestes Werk ist The History of Human Marriage (1891), in dem er die Entwicklung und die sozialen Strukturen von Ehe und Familie in verschiedenen Kulturen untersuchte. Seine Arbeit betonte, dass Ehe und Familienbeziehungen universelle gesellschaftliche Phänomene sind, die sich in unterschiedlichen kulturellen Kontexten entwickeln, aber durch biologische und evolutionäre Faktoren beeinflusst werden.

Westermarck argumentierte, dass die Ehe nicht nur ein kulturelles Konstrukt sei, sondern auch biologische Wurzeln habe, die auf die menschliche Evolution zurückzuführen seien. Er sah die Ehe als eine Form des Paarens, die von sozialen Normen und Institutionen organisiert wird, um Fortpflanzung und Nachkommen zu sichern.

Inzesttabu

Westermarck ist bekannt für seine sogenannte Westermarck-Hypothese, die besagt, dass es einen angeborenen psychologischen Mechanismus gibt, der Menschen davor abhält, sexuelle Beziehungen mit engen Verwandten einzugehen. Diese Theorie wurde in The History of Human Marriage ausführlich dargelegt.

Westermarck argumentierte, dass Kinder, die in engem körperlichen Kontakt aufwachsen (z. B. Geschwister oder Kinder in der gleichen Pflegefamilie), eine natürliche Abneigung gegen sexuelle Beziehungen zueinander entwickeln.

Ergebnisse: Moderne Forschungen zur Inzestvermeidung, wie die Studien über das Kibbutz-System in Israel, haben Westermarcks Hypothese weitgehend gestützt, indem sie zeigen, dass Menschen, die in der frühen Kindheit in engem Kontakt aufwachsen, seltener sexuelle Anziehung füreinander empfinden.

Ethik und Moral

Ein weiteres zentrales Thema in Westermarcks Werk war die Untersuchung der Ursprünge und Entwicklung von Moral. In seinem Werk The Origin and Development of the Moral Ideas (1906-1908) untersuchte er die moralischen Überzeugungen verschiedener Gesellschaften und argumentierte, dass Moral keine absolut objektive, göttlich gegebene oder universelle Wahrheit sei, sondern sich aus emotionalen Reaktionen der Menschen entwickle.

Relativismus der Moral: Westermarck war einer der ersten Anthropologen, der einen ethischen Relativismus vertrat, d. h., er argumentierte, dass moralische Vorstellungen in verschiedenen Kulturen unterschiedlich sind und dass diese Vielfalt biologisch und emotional bedingt sei. Er widersetzte sich der Idee, dass es universelle moralische Prinzipien gibt, die auf alle Kulturen gleichermaßen anwendbar sind.

Emotionale Basis der Moral: Er vertrat die Auffassung, dass moralische Urteile auf Emotionen wie Empörung, Zuneigung und Abscheu beruhen. Diese emotionale Grundlage der Moral würde erklären, warum verschiedene Gesellschaften unterschiedliche Moralvorstellungen entwickeln.

Vergleichende Anthropologie

Westermarck arbeitete auch umfangreich auf dem Gebiet der vergleichenden Anthropologie. Er unternahm Feldforschungen in Marokko und dokumentierte dabei die Sitten und Bräuche der dortigen Bevölkerung. Seine ethnografischen Arbeiten umfassen detaillierte Beschreibungen von religiösen Praktiken, Familienstrukturen und gesellschaftlichen Normen.

In Ritual and Belief in Morocco (1926) lieferte er eine umfassende ethnografische Studie über die religiösen und sozialen Praktiken der Marokkaner, die als bedeutender Beitrag zur Ethnologie und zur Erforschung des Islams gilt.

Beziehung zu Evolution und Biologie

Westermarck argumentierte, dass viele soziale und moralische Phänomene biologisch und evolutionär bedingt seien. Sein Werk zeigte, wie menschliche Institutionen und Verhaltensweisen aus biologischen Bedürfnissen und evolutionären Zwängen hervorgegangen sind. Dies stellt ihn in die Tradition der soziobiologischen und evolutionären Anthropologie, die versucht, soziale Institutionen durch biologische und evolutionäre Theorien zu erklären.

Westermarck war ein Pionier auf dem Gebiet der Sozial- und Kulturanthropologie. Seine wichtigsten Forschungsergebnisse waren:

Die Evolution und soziale Funktion der Ehe und der Familie.
Die Westermarck-Hypothese zur Inzestvermeidung.
Die emotionale Grundlage der Moral und der ethische Relativismus.
Vergleichende ethnographische Studien, insbesondere über Marokko.

Eine biologische und evolutionäre Sicht auf soziale Institutionen und Normen. Seine Arbeiten haben nachhaltig die Anthropologie, Soziologie und Ethik beeinflusst und sind auch heute noch in wissenschaftlichen Debatten präsent.

Freud und das Inzesttabu

Der Anthropologe Edvard Westermarck beeinflusste Sigmund Freuds kulturkritische Ansichten, insbesondere in Bezug auf Familie, Sexualität und moralische Entwicklung. Westermarck vertrat die Theorie, dass die menschliche Moral und soziale Strukturen in großem Maße durch evolutionäre Prozesse und biologische Faktoren geprägt seien. Er argumentierte, dass Inzesttabus beispielsweise eher biologisch verankert und weniger kulturell oder religiös motiviert seien.

Freud griff auf diese Ideen zurück und baute in seinen eigenen Arbeiten, insbesondere in Totem und Tabu (1913), auf Westermarcks Ansichten auf. Freud stimmte Westermarck zwar nicht vollständig zu, übernahm jedoch die Idee, dass das Inzesttabu eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Zivilisationen spielt. Während Freud das Tabu eher als Folge unbewusster Triebe und psychosexueller Entwicklung interpretierte, bot Westermarck eine biologische Erklärung an, indem er argumentierte, dass das Vermeiden von Inzest evolutionär vorteilhaft sei.

In Freuds kulturkritischen Schriften, wie in Das Unbehagen in der Kultur (1930), ist diese Verbindung zu Westermarck zu erkennen. Freud betrachtete die Entwicklung der Kultur und Gesellschaft als Ergebnis von Spannungen zwischen menschlichen Trieben und sozialen Normen, wobei der Konflikt zwischen dem biologischen Erbe und den Anforderungen der Zivilisation eine zentrale Rolle spielt. Westermarcks biologischer Ansatz hat Freud also in der Auseinandersetzung mit den Ursprüngen von Normen, insbesondere in Bezug auf Sexualität und Familie, indirekt beeinflusst und ihn inspiriert, seine eigenen Positionen stärker zu akzentuieren.

Für die aktuelle Diskussion ist zu bemerken, dass Freuds Theorie des Ödipuskomplexes oft missverstanden und verzerrt dargestellt wird. Freud selbst hat den Ödipuskomplex nicht als wörtliches Verlangen nach sexuellem Kontakt zwischen Eltern und Kind verstanden. Vielmehr sah er darin ein emotionales und psychisches Entwicklungsstadium, in dem das Kind unbewusste Gefühle von Begehren, Eifersucht und Rivalität gegenüber den Eltern erlebt. Diese Gefühle sind nicht explizit sexuell im erwachsenen Sinn, sondern eher eine frühe Form emotionaler Beziehungen und Spannungen, die das Kind durchlebt.

Kernpunkte des Ödipuskomplexes nach Freud

Emotionales Begehren und Rivalität: Freud ging davon aus, dass Kinder in der frühen phallischen Phase (zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr) eine besondere Zuneigung zu einem Elternteil entwickeln – typischerweise der Junge zur Mutter und das Mädchen zum Vater. Gleichzeitig empfindet das Kind eine Rivalität oder Eifersucht gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil.

Unbewusste Gefühle und ihre Verdrängung: Diese Gefühle werden jedoch nicht bewusst in einer sexuellen Weise ausgedrückt, da das Kind in diesem Alter noch keine klare Vorstellung von Sexualität hat. Vielmehr handelt es sich um unbewusste Wünsche und Konflikte, die das Kind verdrängt. Diese Verdrängung dient dem Aufbau des Über-Ichs, das die moralischen Normen und Werte der Eltern und der Gesellschaft internalisiert.

Psychosexuelle Entwicklung: Durch das Erleben und die Verdrängung des Ödipuskomplexes wird laut Freud der Grundstein für die psychosexuelle Entwicklung gelegt. Das Kind löst sich von den primären, emotionalen Bindungen zu den Eltern und beginnt, diese Gefühle umzuwandeln, um später reife sexuelle Beziehungen aufzubauen.

Kein bewusstes sexuelles Verlangen: Freud betonte, dass das „Begehren“ eines Kindes in diesem Kontext nicht als wörtliches sexuelles Verlangen zu verstehen ist. Vielmehr drückt sich das Begehren in emotionalen Bindungen aus, die durch das Gefühl der Liebe und des Schutzes gegenüber einem Elternteil geprägt sind. Die sexuelle Komponente ist unbewusst und bezieht sich mehr auf ein symbolisches Bedürfnis nach Nähe und Zuneigung.

Verformung in der Rezeption: Im Laufe der Zeit wurde Freuds Theorie oft vereinfacht und missverstanden, insbesondere durch die Vorstellung, dass Kinder angeblich explizit sexuelle Wünsche gegenüber ihren Eltern haben. Diese Fehlinterpretation übersieht den subtilen und symbolischen Charakter von Freuds Theorie, der eher auf unbewusste, emotionale Konflikte als auf tatsächliche sexuelle Begierden hinweist.

Freud ging es in seiner Theorie des Ödipuskomplexes nicht um realen Inzest oder bewusste sexuelle Wünsche von Kindern gegenüber ihren Eltern. Stattdessen beschrieb er, wie Kinder in der frühen Kindheit unbewusste emotionale Spannungen erleben, die in den Entwicklungsprozess der Psyche und der Identität integriert werden. Die Verdrängung dieser Gefühle und die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil führt letztlich zur Entwicklung des Über-Ichs und der moralischen Werte.

Der Missbrauch dieser Theorie, um zu behaupten, dass kleine Kinder sexuelle Wünsche gegenüber ihren Eltern hegen, verkennt die tieferliegenden psychologischen Dynamiken, die Freud eigentlich beschreiben wollte.

Veränderung der psychosexuellen Entwicklung in Familien ohne Vater

Die Frage, welche psychosexuellen Konsequenzen für Kinder zu erwarten sind, die ohne Vater aufwachsen, und wie dies im Rahmen von Freuds Theorie des Ödipuskomplexes zu interpretieren ist, ist komplex. Freud sah den Vater als zentrale Figur in der Entwicklung des Kindes, insbesondere in Bezug auf die Identifikation und die Verdrängung unbewusster Wünsche. Wenn der Vater jedoch fehlt und bzw. oder abgewertet wird, ergeben sich potenzielle Herausforderungen für die psychosexuelle Entwicklung, die in der modernen Psychoanalyse und Entwicklungspsychologie untersucht werden.

Auswirkungen auf die psychosexuelle Entwicklung

Fehlende Vaterfigur und Identifikation (für Jungen):
Für Freud war die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil – im Fall des Jungen der Vater – ein entscheidender Schritt in der Überwindung des Ödipuskomplexes. Durch die Rivalität mit dem Vater lernt der Junge, seine unbewussten Wünsche nach der Mutter zu verdrängen und sich stattdessen mit dem Vater zu identifizieren, was zur Bildung seines Über-Ichs und der Entwicklung einer geschlechtlichen Identität führt.

    Mögliche Folgen bei Abwesenheit des Vaters: Wenn der Vater fehlt oder in der Wahrnehmung des Kindes abgewertet wird, könnte es für den Jungen schwieriger sein, diese Identifikation zu vollziehen. Dies könnte zu Unsicherheiten in der Geschlechtsidentität führen und die Entwicklung des Über-Ichs beeinträchtigen, da die moralische Autorität des Vaters fehlt. Der Junge könnte Probleme haben, eine klare Vorstellung von männlicher Identität zu entwickeln oder Schwierigkeiten im Umgang mit Autoritäten oder männlichen Vorbildern haben.

    Abwertung des Vaters (für Jungen und Mädchen):
    Wenn der abwesende Vater zusätzlich von der Mutter abgewertet wird, könnte dies tiefere psychische Auswirkungen haben. Freud betonte die Bedeutung von Respekt und Autorität des Vaters, um die psychosexuelle Entwicklung zu steuern. Eine abwertende Haltung der Mutter gegenüber dem Vater könnte den Rivalitäts- und Identifikationsprozess noch stärker stören.

      Für Jungen: Ein Junge könnte Schwierigkeiten haben, männliche Vorbilder zu respektieren oder Autoritäten anzuerkennen, wenn der Vater negativ dargestellt wird. Auch die Entwicklung eines gesunden Über-Ichs könnte erschwert sein, da das Kind möglicherweise keine klare moralische Orientierung von der Vaterfigur erhält.

      Für Mädchen: Für Mädchen ist der Vater im Ödipuskomplex das unbewusste „Objekt“ der Liebe. Wenn der Vater abwesend oder abgewertet ist, könnte dies die Entwicklung des Mädchens in Bezug auf zukünftige heterosexuelle Beziehungen beeinflussen. Ohne eine positive Vaterfigur könnte es zu Schwierigkeiten bei der Beziehungsbildung und der Entwicklung eines positiven Männerbilds kommen.

      Mütterliche Überidentifikation und Enmeshment:
      Ohne die Vaterfigur kann es zudem zu einer engeren emotionalen Bindung zwischen Mutter und Kind kommen, was in der Psychologie als „Enmeshment“ bezeichnet wird. In solchen Fällen könnte das Kind Schwierigkeiten haben, eine gesunde Autonomie zu entwickeln. Die Abhängigkeit von der Mutter könnte sowohl für Jungen als auch für Mädchen zur Folge haben, dass sie es schwerer haben, von der Mutter „emotional loszulassen“ und sich auf andere Beziehungen einzulassen.

      Verdrängung und Über-Ich-Entwicklung:
      Freud betrachtete die Verdrängung der unbewussten Wünsche als zentralen Mechanismus für die Entwicklung des Über-Ichs. Ohne Vaterfigur – oder bei einem abgewerteten Vater – könnte die Notwendigkeit zur Verdrängung verringert sein. Das männliche Kind hat dann keinen klaren „Rivalen“, dem es seine Gefühle gegenüberstellen kann. Dies könnte dazu führen, dass die Entwicklung des Über-Ichs (also der moralischen Instanz, die für das Individuum zwischen Wünschen und sozialen Normen vermittelt) erschwert wird, da keine ausreichend starke äußere Autorität vorhanden ist, die das Kind als Vorbild internalisiert.

      Abwehrmechanismen bei fehlender Vaterfigur:
      Ohne den Konflikt mit einem anwesenden und respektierten Vater könnten Kinder andere Abwehrmechanismen als die Verdrängung entwickeln. Kinder, die ohne Vater aufwachsen, neigen möglicherweise zu Verleugnung, Projektion oder Idealisation anderer Autoritätsfiguren, um den fehlenden Vater zu kompensieren. In Fällen, in denen der Vater von der Mutter stark abgewertet wird, könnte das Kind außerdem eine übermäßige Identifikation mit der Mutter entwickeln, was zu einer Verschmelzung der emotionalen Identitäten führen kann.

        Vermehrte Beobachtung von Perversionen und Pornosucht bei fehlendem Vater

        In der klinischen Arbeit wird oft beobachtet, dass männliche Kinder, die ohne Vater aufwachsen, unbewusste erotische Fantasien in Bezug auf die Mutter entwickeln können. Diese Dynamik kann tiefere psychosexuelle Auswirkungen haben und sich im späteren Leben in verschiedenen problematischen Verhaltensweisen äußern. Freud hätte diese unbewussten erotischen Fantasien wahrscheinlich als Ausdruck eines ungelösten Ödipuskomplexes betrachtet, der aufgrund des Fehlens einer Vaterfigur nicht in angemessener Weise durch Identifikation und Verdrängung verarbeitet werden konnte.

        Auswirkungen von Störungen der psychosexuellen Entwicklung

        Masochismus: Masochistische Tendenzen können sich entwickeln, wenn das Kind keine klare Grenze zwischen der Abhängigkeit von der Mutter und dem Wunsch nach Autonomie und Unabhängigkeit findet. Ohne die „Autorität“ des Vaters kann es zu einer übermäßigen Bindung an die Mutter kommen, die als allmächtige Figur erlebt wird. Masochismus könnte dann als Abwehrmechanismus dienen, bei dem das Individuum versucht, Kontrolle über die erlebte Abhängigkeit und Unterwerfung zu gewinnen.

        Pädophilie: Pädophilie könnte in einigen Fällen auf die unbewussten erotischen Fantasien zurückzuführen sein, die im frühen Kindesalter in Bezug auf die Mutter entstanden sind. Diese Fantasien könnten später auf andere Objektbeziehungen projiziert werden, wobei das Individuum möglicherweise in jüngeren Menschen, die als verletzlich und abhängig wahrgenommen werden, die ursprüngliche Mutter-Kind-Beziehung re-inszeniert.

        Pornosucht: Die Abwesenheit des Vaters kann auch zu einem Mangel an angemessenen männlichen Vorbildern führen, die bei der Regulation sexueller und emotionaler Impulse eine Rolle spielen. Pornosucht könnte als Kompensationsstrategie dienen, um unerfüllte emotionale Bedürfnisse oder den Mangel an intimen Bindungen zu bewältigen. Die übermäßige Abhängigkeit von pornografischem Material kann als Ersatz für reale Beziehungen fungieren und ein Gefühl der Kontrolle oder Erleichterung bei unerfüllten Bindungswünschen bieten.

          Ursachen und Dynamiken

          Fehlende Vaterfigur: Der Vater spielt in Freuds Theorie eine zentrale Rolle bei der Verdrängung der unbewussten Wünsche des Kindes gegenüber der Mutter. Fehlt der Vater, kann der Junge Schwierigkeiten haben, diese Wünsche angemessen zu verarbeiten, was zu einer fixierten oder unverarbeiteten Bindung an die Mutter führt.

          Enge Mutter-Kind-Beziehung: Wenn das Kind eine sehr enge emotionale Beziehung zur Mutter aufbaut, ohne die Möglichkeit, sich von ihr zu lösen, kann dies zu einer Verwischung der Grenzen zwischen emotionaler und körperlicher Nähe führen. Diese unbewusste Verwirrung kann im späteren Leben in verschiedenen Formen wieder auftauchen, wie in erotischen Fantasien, die auf Abhängigkeitsbeziehungen basieren.

          Mangel an Autonomie: Ohne die psychische „Trennung“ von der Mutter könnte das Kind Schwierigkeiten haben, Autonomie zu entwickeln, was die spätere psychosexuelle Entwicklung behindert. Der Wunsch, sich von der Mutter zu lösen und gleichzeitig an ihr festzuhalten, kann in Formen von Masochismus oder anderen problematischen Sexualitäten ausgedrückt werden.

          Das Aufwachsen ohne Vater kann starke psychosexuelle Auswirkungen auf männliche Kinder haben, insbesondere in Bezug auf unbewusste Fantasien über die Mutter. Diese können später in problematische Verhaltensweisen wie Masochismus, Pädophilie oder Pornosucht münden. Die klinische Arbeit sollte sich auf das Erkennen und Verarbeiten dieser unbewussten Konflikte konzentrieren und den Patienten helfen, gesunde Beziehungs- und Sexualitätsmuster zu entwickeln.

          Zusammenfassung

          Kinder, die ohne Vater aufwachsen, könnten Schwierigkeiten bei der psychosexuellen Entwicklung erleben, insbesondere bei der Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil und der Bildung des Über-Ichs. Die Abwertung des Vaters durch die Mutter könnte diese Probleme verschärfen. Verdrängung als zentraler Abwehrmechanismus könnte unter diesen Umständen beeinträchtigt sein, da das Kind keinen „Rivalen“ erlebt, an dem es seine unbewussten Wünsche ausrichten kann. Eine bewusste Auseinandersetzung mit alternativen Vorbildern und eine gesunde emotionale Distanz zur Mutter könnten hier ausgleichend wirken.

          Weiterlesen: Psychotherapiepraxis in Berlin, Wolfgang Albrecht

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