Einleitung
In diesem Beitrag geht es zum einen um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Verbalisierung des Erlebten nach Rogers und der freien Assoziation nach Freud und zum anderen um eine Theorie eines wechselseitigen Prozesses von Subjektivierung und Objektivierung durch Verbalisierung in der Psychotherapie.
Carl Rogers und Sigmund Freud
Carl Rogers und Sigmund Freud, haben jeweils unterschiedliche Ansätze zur Verbalisierung des Erlebten entwickelt. Hier sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Rogers’ Ansatz der Verbalisierung des Erlebten und Freuds freier Assoziation:
Beide Methoden zielen darauf ab, dem Klienten zu helfen, sich seiner Gedanken, Gefühle und Erfahrungen bewusster zu werden. Sowohl Rogers als auch Freud glauben, dass durch das Ausdrücken innerer Erlebnisse ein tieferes Verständnis und letztlich Heilung möglich ist.
Beide Ansätze nutzen das gesprochene Wort als primäres Mittel zur Exploration und Verarbeitung innerer Erfahrungen. Der Klient wird ermutigt, frei zu sprechen, was dazu beiträgt, verborgene oder unbewusste Inhalte ins Bewusstsein zu bringen.
Beziehungsaspekt in der Psychotherapie
Sowohl Rogers als auch Freud legen großen Wert auf die Beziehung zwischen Therapeut und Klient. Diese Beziehung dient als Grundlage für den therapeutischen Prozess, wobei Vertrauen und Offenheit entscheidend sind.
Unterschiede in der Methodik des Verbalisierens
Die Unterschiede in der Methodik des Verbalisierens in Bezug auf den jeweiligen theoretischen Hintergrund.
Rogers’ Ansatz ist nicht-direktiv und betont das aktive Zuhören, Empathie, bedingungslose positive Wertschätzung und Authentizität seitens des Therapeuten. Der Therapeut reflektiert und paraphrasiert das Gesagte des Klienten, um ihm zu helfen, seine eigenen Gefühle und Gedanken klarer zu erkennen.
Freud verwendet die Technik der freien Assoziation, bei der der Klient aufgefordert wird, alles zu sagen, was ihm in den Sinn kommt, ohne Zensur oder Bewertung. Der Therapeut interpretiert diese Assoziationen, um unbewusste Konflikte, verdrängte Erinnerungen und zugrunde liegende psychische Strukturen aufzudecken.
In Rogers Methodik ist der Therapeut ein einfühlsamer Zuhörer, der sich auf das Verstehen und Unterstützen des Klienten konzentriert, ohne direkte Interpretation oder Analyse.
Bei Freud interpretiert der Therapeut die Aussagen des Klienten, um tiefere unbewusste Bedeutungen zu enthüllen.
Bei Rogers erfolgt der Zugang zu inneren Erfahrungen durch die gegenwärtigen Erfahrungen und Gefühle des Klienten, die im Hier und Jetzt reflektiert und verarbeitet werden.
Bei Freud erfolgt der Zugang zu inneren Erfahrungen durch die Verknüpfung des Erlebens im Hier und Jetzt mit den Erinnern der der Vergangenheit, insbesondere der Kindheit, und das Aufdecken von unbewussten Prozessen und verdrängten Erinnerungen.
Wesentliche Unterschiede gibt es in bezug auf die theoretische Grundlagen von Rogers und Freud.
Rogers’ Ansatz basiert auf der sogenannen humanistischen Psychologie und deren Prämissen in Bezug auf Wachstumspotenzial und den Wunsch nach Selbstverwirklichung jedes einzelnen Individuums.
Freuds Ansatz basiert auf der Psychoanalyse, die sich stark auf die Struktur des Psyche im Rahmen des von ihm entwickelten Instanzenmodells (Es, Ich, Über-Ich) und die Dynamik unbewusster Triebe und Konflikte konzentriert.
Verbalisierung des Erlebten nach Rogers und die freie Assoziation nach Freud
Die Verbalisierung des Erlebten nach Rogers und die freie Assoziation nach Freud haben beide das Ziel, dem Klienten zu helfen, ein tiefere Erfahrung seiner selbst zu erlangen. Die Methoden und theoretischen Grundlagen sind jedoch unterschiedlich. Rogers’ klientenzentrierter Ansatz ist phänomenologisch verbalisierend und ist vor allem empathisch-unterstützend, während Freuds psychoanalytischer Ansatz darauf ausgerichtet ist, dass der Patient vermittels der Deutungen innere Symbole bildet und psycho-dynamische Kräfte erlebt, die vom Unbewussten ins Ich einwirken.
Exkurs:
Zum Vergleich der non-direktiven Methode mit der Methode der freien Assoziation in Bezug auf den jeweiligen Aufmerksamkeitsfokus. Dass immer nur bestimmte psychische Inhalte bewusst werden und alle anderen unbewusst bleiben, kann man mit dem Begriff der Intentionalität, dem psychischen Gerichtet sein auf etwas oder anders gesagt: der Befähigung zu einem Aufmerksamkeitsfokus beschreiben, . Zum Illustration kann vielleicht die Analogie zum Sehvorgang helfen. Denn im Rahmen der visuellen Wahrnehmung kann auch beim Sehvorgang immer nur die aufs Zentrum der Netzhaut fallende Erscheinung scharf gesehen werden. Alle peripheren Erscheinungen werden von Mitte nach Außen zunehmend unschärfer. So könnte man auch sagen, alles innerhalb des Aufmerksamkeitsfokus kann als Erlebnisinhalte bewusst wahrgenommen werden, alles außerhalb des Aufmerksamkeitsfokus bleibt mehr oder weniger unbewusst.
Für Freud ist diese Funktionalität des beweglichen Aufmerksamkeitsfokus eine Voraussetzung seiner Methode der freien Assozition. Allerdings versucht er, durch Benennung (Deutung) von bestimmten Bewusstseininhalten, diese zu strukturieren, ohne sie dadurch aber dauerhaft im Bewusstsein des Patienten festhalten zu können. Im Gegensatz dazu muss Rogers sich keine Gedanken darüber machen, warum sein Klient bestimmte Bewusstseininhalte anspricht und andere nicht. Die non-direktive Methode läßt offen, ob der Klient eine willentliche Auswahl aus verschiedenen Bewusstseininhalten vornehmen kann. Denn non-direktiv heißt vor allem, von außen d.h. durch den Psychotherapeuten unbeeinflusst. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass vielfältige Reize dafür sorgen, dass sich der Aufmerksamkeitsfokus verschiebt. Vor allem wird dies aber beeinflusst vom Grad der Konzentrationsfähigkeit einerseits und dem Grad der Ablenkbarkeit andererseits. Beide Methoden, die nondirektive Methode wie die Methode der freien Assoziation würden aber an ihre Grenzen stoßen, wenn das Wechselspiel von Konzentration und Ablenkbarkeit nicht mehr ausbalanciert wäre und z.B. die Ablenkbarkeit so stark würde, dass formale Denkstörungen aufträten z.B. im Sinne von Zerfahrenheit.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Insgesamt erscheinen mir die Gemeinsamkeiten von Rogers und Freud wichtiger zu sein als die Unterschiede, zumindest was die große Bedeutung des Verbalisierens in beiden Schulen angeht.
In einem Rückbezug auf Cassirer möchte ich darauf hinweisen, dass er die Sprachtheorie W.v.Humboldts verwendet um das Verbalisieren als primäre Erfahrung eines Wechselspiels von Subjektivierung und Objektivivierung zu beschreiben
“Für (W.v.) Humboldt ist das Lautzeichen, das die Materie aller Sprachbildung darstellt, gleichsam die Brücke zwischen dem Subjektiven und Objektiven, weil sich in ihm die wesentlichen Momente beider vereinen. Denn der Laut ist auf der einen Seite gesprochener und insofern von uns selbst hervorgebrachter und geformter Laut; auf der anderen Seite aber ist er, als gehörter Laut, ein Teil der sinnlichen Wirklichkeit, die uns umgibt. Wir erfassen und kennen ihn daher als ein zugleich „Inneres” und „Äußeres” — als eine Energie des Inneren, die sich in einem Äußeren ausprägt und objektiviert.” Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen S. 25.
Sich selbst aktiv zuhören
Nach dieser Auffassung bestünde in Bezug auf die Verbalisierung des Erlebten als dem zentralen Anliegen der Psychotherapie beider Schulen, die Aufgabe des Psychotherapeuten nun vor allem darin, sicher zu stellen, dass der Patient sich selbst aktiv zuhört und tatsächlich ernst nimmt, was er gerade gesagt hat und es nicht nur so dahin sagt, um sich zu entlasten oder um die Leere auszufüllen oder um den Psychotherapeuten zu beeindrucken bzw. zufriedenzustellen. Jedes Berichten seitens des Patienten enthält das Risiko, dass das Gesprochene nur dem Therapeuten gilt, der Patient, sich aber selbst dabei nicht wirklilch zuhört. Die Chance, sich selbst zuzuhören, vermehrt sich schon im Modus des Erzählens, wird aber erst auf der Ebene der freien Assoziation vollumfänglich entfaltet. Insbesondere dann, wenn nachfolgende Assoziationen sich auf das Gehörte des zuvor Gesagten beziehen und sich so ein selbstbezüglicher Prozess aus wechselseitiger Subjektivierung und Objektivierung entwickeln kann.
Vgl. hierzu meine Beiträge: Berichten, Erzählen und freie Asssoziation und Affektbildung und Symbolbildung Subjektivität und Sprache im psychotherapeutischen Setting.
Weiterlesen: Psychotherapiepraxis in Berlin, Wolfgang Albrecht