Einleitung
Wenn optische Rekonstruktionen historische oder biologische Vergangenheit inszenieren, dann zielen optische Konstruktionen darauf ab, Gegenwart und Zukunft zu formen. Werbung und Propaganda bedienen sich beider derselben Mittel: Bilder erzeugen, die nicht einfach abbilden, sondern Wirklichkeiten schaffen. Dabei wird nicht nur etwas gezeigt, sondern ein bestimmter Blick erzeugt, der das Wahrgenommene rahmt, überhöht und mit Bedeutungen auflädt. Dieser Beitrag ist in gewisser Weise die Fortsetzung des Beitrags über optische Rekonstruktionen.
Werbung
In der Werbung wird das Produkt nicht in seiner bloßen Materialität präsentiert. Vielmehr wird es durch Bildwelten in eine imaginäre Sphäre überführt: das Auto wird zur Verkörperung von Freiheit, das Parfum zum Versprechen von Liebe und Sinnlichkeit, das Smartphone zur Eintrittskarte in eine hippe, vernetzte Zukunft. Hier tritt das Imaginäre im Sinne Lacans besonders hervor: Die Konsumenten identifizieren sich mit den Bildern, die Ganzheit und Vollkommenheit suggerieren. Ein Körper in makelloser Pose, eine Szene glücklicher Gemeinschaft, eine Landschaft von unberührter Schönheit – all dies fungiert als Spiegel, in dem das Subjekt sich als vollständig und begehrenswert wähnt. Doch diese Bilder sind Konstruktionen, die im Modus des méconnaissance operieren: Sie lassen das Publikum sich in etwas erkennen, das es nicht ist, und erzeugen so die Illusion einer Realität, die nur als Bild existiert.
Propaganda
Propaganda verstärkt diesen Mechanismus, indem sie nicht nur individuelle Wünsche adressiert, sondern kollektive Identitäten formt. Politische Regime inszenieren in Bildmedien nationale Stärke, ethnische Reinheit oder soziale Einheit. Das Bild eines charismatischen Führers, der Blick in die Menge, die perfekt choreografierte Masse auf dem Platz – dies sind optische Konstruktionen, die Wirklichkeit nicht beschreiben, sondern herstellen. Das Gezeigte ist nie „einfach da“, sondern bereits in eine narrative Ordnung eingebettet, die das Publikum lenkt. So entsteht nicht nur ein Bild der Wirklichkeit, sondern eine Wirklichkeit, die durch Bilder geformt ist.
Optische Rekonstruktion und optische Konstruktion im Vergleich
Im Unterschied zur optischen Rekonstruktion, die ein Vergangenes als Gegenwärtiges erscheinen lässt, operieren Werbung und Propaganda in einem Modus der Antizipation: Sie zeigen nicht nur, was ist, sondern was sein soll. Das Werbebild ruft ein „Noch-nicht“ herbei, das im Kaufakt scheinbar einlösbar wird. Die Propagandainszenierung stellt ein Ideal in den Raum – eine Einheit, die erst im Gehorsam oder in der Unterordnung Wirklichkeit werden soll. Beides sind Konstruktionen, die das Subjekt in eine gewünschte Richtung imaginär festlegen.
Die Konstruktion imaginärer Welten
Philosophisch lässt sich dies mit Baudrillards Begriff des Simulakrums fassen. In der Werbung und in der Propaganda werden Bilder geschaffen, die nicht mehr auf ein reales Objekt verweisen, sondern eine Welt eigener Ordnung erzeugen. Das Auto, das „Freiheit“ verkörpert, ist nicht einfach ein Fortbewegungsmittel – es ist ein Zeichen, das sich auf ein imaginäres Begehren bezieht. Ebenso ist das Bild der jubelnden Menge in der Propaganda keine Dokumentation, sondern eine performative Behauptung: „So ist das Volk.“ In beiden Fällen ersetzt das Bild das Reale und schafft eine eigene Realität.
Zusammenfassung
Die optische Konstruktion in Werbung und Propaganda ist damit nicht bloß Täuschung, sondern eine spezifische Form von Macht. Sie strukturiert Wahrnehmung, lenkt Begehren und formt Identität. Der Scheincharakter dieser Bilder ist nicht zufällig, sondern funktional: Nur indem sie etwas vorgaukeln, das es so nicht gibt, können sie das Publikum affizieren, binden und lenken.
So wie die optische Rekonstruktion im touristischen Kontext eine imaginäre Vergangenheit erzeugt, so schaffen Werbung und Propaganda imaginäre Gegenwarten und Zukünfte. In beiden Fällen wird deutlich, dass optische Bilder nicht einfach Abbilder der Realität sind, sondern Konstruktionen, die im Feld des Imaginären angesiedelt sind – Projektionen, die notwendiges falsches Bewusstsein hervorbringen und damit soziale Wirklichkeit prägen.
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