In diesem Beitrag möchte ich auf spezifische Aspekte der Verwendung von Sprache im psychotherapeutischen Setting von Tiefenpsychologie und Psychoanalyse eingehen.
In den letzten Jahren ist es modern geworden, nach interaktiven Aspekten der psychotherapeutischen Beziehung zu fragen oder auch Überlegungen zu einem psychotherapeutischen Dialog anzustellen.
Wenn damit gemeint sein sollte, therapeutische Stile infrage zu stellen, die einseitig von Suggestion oder Schweigen des Therapeuten bzw. raren Deutungen im Sinne von Statements geprägt sind, so ist diese Entwicklung positiv zu bewerten. Andererseits sollte bei aller Neigung zum Experimentieren nie außer Acht gelassen werden, dass ein idealtypischer Patient vor allem sich in einem eigenen Dialog mit sich selbst befindet, sich also selbst zuhört, wenn er dem Therapeuten etwas mitteilt. Der erwachsene Patient im tiefenpsychologischen Setting sollte sich deshalb von vornherein einer selbstreferenziellen Sprache bedienen können, d.h. er sollte in der Lage sein, dem Therapeuten etwas mitzuteilen und sich selbst dabei aufmerksam zuzuhören können. (Zur Unterscheidung von selbstreferenzieller und konkretistischer Sprache siehe den Beitrag über Sprache und Kommunikation.)
Präziser formuliert: Im Grund führen sowohl der Patient als auch der Therapeut jeweils getrennte selbstreferenzielle innere Dialoge mit sich selbst. Wobei der Patient Teile dieses Dialogs mit sich selbst dem Therapeuten in Form von Assoziationen mitteilt, während der Therapeut Teile seines eigenen selbstreferenziellen inneren Dialogs dem Patienten in Form von Interventionen zur Verfügung stellt. Diese Tatsache der Anerkennung von zwei getrennt ablaufenden inneren Dialogen, die sich nur wechselseitig beeinflussen über verbalisierte Assoziationen und Interventionen, ist von zentraler Bedeutung. Wenn man dies übersieht, könnte man auf die falsche Schlussfolgerung kommen, dass es in der Therapie eigentlich, um die Installation eines äußeren Dialogs zwischen Patient und Theraeut gehen sollte. Dies könnte auch zu der falschen Grundüberzeugung führen, als müssten sich beide auf bestimmte gemeinsame Perspektiven oder Meinungen etc. einigen (Negativbeispiel: „Wir haben das letzte Mal gesagt …“)
Die Verteidigung der jeweils eigenen Subjektivität sowohl auf seiten des Patienten als auch auf seiten des Therapeuten ist aber m.E. von großer Bedeutung für einen konstruktiven therapeutischen Prozess. Die Äußererungen oder Interventionen des Therapeuten sollten immer nur den inneren Dialog des Patienten inspirieren, indem ihm Gedanken des Therapeuten zur Verfügung gesetellt werden, die er für sein eigenes inneres dialogisches Handeln verwenden kann oder könnte aber auch zurückweisen darf und soll, wenn er diese als unpassend und nicht stimmig empfindet.
Zu Veranschaulichung der Problematik möchte ich in Analogie auf das Problem der Kunstkritik verweisen, wo sich die Gefahr der Subjekt-Objekt-Verwechslung oder-Vermischung in ähnlicher Weise stellt.
Der Roman „Lucinde“ (1799) von Friedrich Schlegel (1772-1829) ist eine literaturtheoretische Abhandlung in Romanform. Die angesprochene Geliebte Lucinde wird nicht als sinnliches Wesen anschaulich beschrieben, sondern dient dem Autor als Anlass, in allegorischer Form seine Vorstellung oder besser gesagt: seine Konzeption von romantischer Liebe und ihrer schriftstellerischen Verarbeitung , mehr poetisch und weniger begrifflich darzulegen. Die selbstreferenziellen Bezüge beinhalten deshalb auch keine autobiographischen Erfahrungen mit einer konkreten individuellen Frau, sondern sind vielmehr als philosophischer Rekurs auf die Gedankenwelt des Autors aufzufassen. Der Autor erscheint also doppelt, einmal in seinen expliziten Gedanken in Bezug auf die Konzeption der Liebe zu einer fiktive Lucinde im Besonderen zum anderen in seinen impliziten Gedanken zum Projekt der Beschreibung dieser romantischen Liebe im poetischen Fabrizieren einer Form von Diskontinuitäten und Verwirrungen.
Diese Verwirrungen scheinen ein besonderer Clou, eine Art poetischer Form zu sein, der schließlich im spielerischen Austausch der Geschlechtsrollen während des sexuellen Akten gipfelt.
Der dekonstruktive Umgang des Autors mit einer möglichen Handlung verschleiert zum einen die Tatsache, dass es im eigentlichen Sinne gar keine Handlung gibt aber ermöglicht und suggeriert zum anderen, als wäre es ein poetischer Genuss für den Leser, aus den geschilderten bruchstückhaften Aufzeichnungen wie mit Indizien umzugehen, um daraus für sich selbst eine fiktive Handlung zu erschaffen. Wenn der Leser also eine Leseerfahrung eines Romans imaginieren möchte, muss und darf er diese im Rahmen seiner eigenen Rezeptionsästhetik selbst hervorbringen. Der Leser wird so durch Kombinatorik und Schließen von Brüchen wie ein Detektiv zum Autor eines möglichen Romans, den der Autor des Textes selbst konsequent verweigert. Erkenntnistheoretisch wird das Modell einer Vermischung von Subjekt und Objekt intendiert, indem letztlich nicht nur der Leser sondern nachfolgend auch der Kritiker des Textes Teil des kritisierten Kunstwerks selbst wird. Leider hat Walter Benjamin (1892-1940) diesen Aspekt der Frühromantiker mit Kunst und Kritik nicht selbst hinterfragt, sondern vielmehr als Modell einer zukünftigen Kunstkritik für sich selbst gesehen und versucht zu übernehmen. Der bleibende Wert Benjamins Theorie der Kritik besteht jedoch ungeachtet dessen in seinem Hinweis, dass nur durch die Verschränkung von Kunstwerk mit dessen Kritik sich die Bedeutung eines Kunstwerks in immer neuen Ausdeutungen kulturhistorisch zu entfalten vermag und deshalb in seiner Wirkung niemals als abgeschlossen angesehen kann. Der unendlichen Ausdeutbarkeit des Kunstwerks durch Kritik würde ideell das Konzept der unendlichen Analyse im Sinne Freuds entsprechen.
In Bezug auf das Subjekt-Objekt-Verhältnis von Autor und Kritik (und analog dazu von Patient und Analytiker) wäre gegenüber Benjamin aber eher im Sinne Goethes auf die klare Grenzsetzung zwischen Autor und Kritik zu achten und diese zuverteidigen. Nebenbei, im Sinne eines Nachtrags, wäre noch (psychoanalytisch gesprochen) darauf hinzuweisen, dass die von Benjamin proklamierte Vermischung von Kunstwerk und Kritik letztlich symbolisch auf eine entdifferenzierende Vater-Sohn-Symbiose verweist, die als Form einer malignen Regression zurückzuweisen wäre.