In diesem Beitrag sollen Aspekte von Intentionalität, Empathie und Bedeutung im Rahmen von Philosophie, Psychologie und Psychotherapie betrachtet werden.
Die Begriffe Intentionalität, Empathie und Bedeutung spielen eine zentrale Rolle in Theorien der Philosophie, Psychologie und Psychotherapie. Während diese Konzepte in ihrer Funktion und Anwendung unterschiedlich sind, gibt es bedeutende Überschneidungen, die ihre interdisziplinäre Relevanz verdeutlichen. Dieser Beitrag untersucht diese Begriffe aus den drei genannten Perspektiven, um ein besseres Verständnis ihrer Funktion und ihres Einflusses zu vermitteln.
Intentionalität
In der Philosophie wurde der Begriff Intentionalität, abgeleitet von Intention=Absicht, primär auf die Beschaffenheit des Bewusstseins und dessen Beziehung zu Objekten und Inhalten bezogen. Der Philosoph Franz Brentano (1838-1917) prägte den Begriff und beschrieb ihn als das absichtsvolle „gerichtet Sein“ des Geistes auf etwas. Intentionalität beschreibt also zum einen die Eigenschaft bzw. Fähigkeit von mentalen Zuständen, sich bewusst auf Objekte, Sachverhalte oder Phantasien bzw. Vorstellungen zu beziehen. Intention meint also Absicht, zielt auf etwas, ist motiviert, läßt sich auf Motive zurückführen ist deshalb nicht kausal determiniert, sondern von konkurrierenden Motiven, Umständen, subjektiven Willensentscheidungen beeinflusst. Im Gegensatz dazu betrachtete Brentano nur rein physikalische Vorgänge im Rahmen kausaler Gesetzmäßigkeiten, d.h. Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Andererseits umfasst das Konzept der Intentionalität auch die Erkenntnis, dass der menschliche Geist schon immer auf mentale Wahrnehmungsgegenstände bezogen ist. Daraus ergab sich für Brentano die Möglichkeit, alle mentalen Aspekte, die er als absichtsvoll also intentional kategorisieren konnte als Prozesse aufzufassen, die prinzipiell zu verstehen sind.
In der späteren Psychologie bezieht sich Intentionalität oft auf zielgerichtetes Handeln und die Fähigkeit, Handlungen bewusst zu planen und auszuführen. Die psychologische Sichtweise erweitert das philosophische Konzept, indem sie die praktische Umsetzung und die emotionalen sowie kognitiven Prozesse hinter der bwussten Absicht betrachtet. Das Einbeziehen der unbewussten oder vorbewussten Ursprünge der Intentionen als Bewusstseinsakte machen das Konzept komplexer und es stellt sich die Frage, ob das Verstehen dieser Prozesse auch möglich ist, wenn diese aus dem Unbewussten oder Vorbewussten stammen und erst zu einem späteren Zeitpunkt bewusst werden.
Im Rahmen eines psycho-dynamischen Modells ist mit dem Konstrukt der Intentionalität drittens auch ein Konzept der Intentionalität als eines Gefühls-des-in-der-Welt-seins verbunden, das einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, die Angst vor dem eigenen Tod zu verdrängen und den Menschen zu beschreiben, der sich schon immer der Welt zugehörig fühlt und seine Lebenswelt aktiv gestaltet.
In der Psychotherapie wird der Begriff der Intentionalität heute insgesamt vielschichtig betrachtet. Zum einen beschreibt man damit zielorientierte Handlungssequenzen eines Individuumeine, wobei man davon ausgehen muss, dass die Ursprünge dieser Handlungssequenzen in unbewussten Prozessen begründet sind. Es macht also keine Sinn, kategorial zwischen bewussten Intentionen und unbewussten Zwängen zu unterscheiden. Vielmehr ist es so, dass sowohl Intentionen als auch Zwänge in unbewussten Prozessen ihren Anfang nehmen, Intentionen aber als ich-konform (ich-synton) und Zwänge als ich-fremd (ich-dyston) erlebt werden. Die Zielsetzung im therapeutischen Prozess besteht darin, die bewusst wahrgenommen Inntentionen im Kontext ihrer potenziell unbewussten Motive zu verstehen und Zusammenhänge mit unbewusst begründeten Zwängen aufzudecken. Intentionen sind zwar einerseits auf das Erreichen von Zielen hin orientiert, sind aber andererseits immer auch mit mehr oder weniger unrealistischen oder realistischen vorbewussten Grundüberzeugungen und eventuell sogar unbewussten Konflikten verbunden. Das Befragen der eigenen Intentionen und Motive des Handelns in Bezug auf unbewuste Prozesse ist ein wesentlicher Teil der therapeutischen Selbsterfahrung. Die Unterscheidung zwischen Intentionen, die man im Rahmen eines kulturwissenschaftlichen Modells verstehen und Zwängen, die man nur im Rahmen eines naturwissenschaftlichen Modells erklären kann, wird damit hinfällig. Intentionen und Zwänge sind lediglich unterschiedliche mentale Funktionen und unterscheiden sich nur hinsichtlich ihrer Bewertung als funktional-zielorientiert und dysfunktional-maladaptiv.
Noch eine Bemerkung zum Konzept der intentionalen Störung: Wenn Intentionalität einem Gefühl entspricht, in der Welt verankert zu sein, mit nahestehenden Menschen emotional verbunden zu sein, zu ihnen dazuzugehören, so ist dies als analog zur Erfahrung der Gravitation zu verstehen. Intentionalität ist die schon immer vorhandene Ausrichtung auf etwas in der Welt, und impliziert eine apriorische Erwartung, dass etwas da ist, auf das ich mich als Subjekt beziehen kann. Dies sind zum einen die Dinge, Objekte, aber auch Ideen im Sinne eines Gestaltungswillens in Bezug auf das eigene Leben und zB die Berufsfindung als Phantasie von sich selbst in einem Beruf und seiner lebensweltlichen Bezüge. Schon kleine Kinder sagen gewöhnlich Sätze wie: „Wenn ich groß bin, werde ich …“ .Dabei kann die Intentionalität immer nur vorgefundenen Strukturen und Möglichkeiten folgen, Anachronismen sind extrem unwahrscheinlich und eher Ausnahmetalenten wie Leonardo da Vinci vorbehalten. Vorstellungen, in die Welt hineingeworfen worden zu sein und dort nach einem Sinn suchen zu müssen oder die Welt wie hinter einer Glasscheibe abgetrennt von sich selbst nur beobachten zu können, weisen schon immer hin auf eine mögliche intentionale Störung.
Störungen der Intentionalität wurden u.a. von David H. Malan (1922-2020) beschrieben. Sie zeigen sich in vielen Aspekten, typischerweise in einem Erleben, dass kaum etwas in der äußeren Realität Aufforderungscharakter besitzt, kein Spielzeug die Phantasie anregt und die Welt insgesamt wie hinter einer Glasscheibe existierend wahrgenommen wird, von der man sich fragen muss, ob sie wirklich existiert. Ausgehend von der Selbstbeschreibung des Philosophen R. Descartes (1596-1650) ist dann auch die Frage aufgeworfen worden, ob nicht gerade die Philosophie mit ihren Fragen, was können wir erkennen, was ist der Mensch, was sollen wir tun, das ideale Betätigungsfeld für intentional gestörte Menschen sein könnte. Ist die Intentionalität beeinträchtigt, kann dies zu Phantasielosigkeit, kommunikativer Einschränkung, Angst vor dem Nichts, Angst vor dem Tod und insgesamt zu einem überwiegen von negativen Gefühlen wie Aversion, Ekel und Hass über positive Gefühle wie Zuneigung, Zuwendung und Hoffnung führen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma der inneren Leere kann zu verstärkter proaktiver Beschäftigung mit rein intellektuellen Fragestellungen, mit Aspekten des Glaubens, Fragen der Religion oder mit der Musik führen.
Empathie
Das Konzept der Empathie wurde zuerst von Theodor Lipps (1851-1914) beschrieben. Er entwickelte das Konzept der Empathie ausgehend von seinen Überlegungen zur Ästhetik. In seinem Werk „Ästhetik: Psychologie des Schönen und der Kunst“ (1903/1906) prägte er den Begriff Einfühlung in Zusammenhang mit der ästhetischen Wahrnehmung von Kunstwerken.
Heute bezeichnet man mit Empathie eine wichtige Fähigkeit, um befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Sie setzt sich aus den Aspekten Wahrnehmung (Perspektivenübernahme), Verständnis, Resonanz (Gefühlsansteckung), Antizipation und Abgrenzung zwischen sich selbst und dem anderen (Selbst-Objekt-Differenzierung) zusammen. Empathie, das Einfühlungsvermögen in die Emotionen und Perspektiven anderer, ist sowohl in der Philosophie als auch in der Psychologie und Psychotherapie ein zentraler Begriff.
In der Psychologie wird Empathie als Fähigkeit definiert, die emotionalen Zustände anderer zu erkennen und darauf zu reagieren. Sie umfasst sowohl kognitive Aspekte (das Verstehen der Gedanken und Gefühle anderer) als auch affektive Aspekte (das Miterleben der Emotionen anderer).
In der Psychotherapie ist Empathie ein fundamentales Element der therapeutischen Beziehung. Carl Rogers (1902-1987), ein Pionier der personenzentrierten Therapie, betonte die Bedeutung der Empathie als eine der drei Kernbedingungen für effektive Therapie. Empathie ermöglicht es, die Gefühle von Patienten nachzuvollziehen und eine unterstützende und verständnisvolle Umgebung zu schaffen. Empathie ist zugleich auch ein wesentlicher Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung, weil die Gelegenheit zur Empathie auch immer eine Gelegenheit zu vertiefter Selbsterfahrung darstellt. Umgekehrt bedeutet dies, dass eine Therapie ohne Empathie auch Selbsterfahrung verhindert. Unempathische Psychotherapeuten sind demnach immer auch solche mit stark eingeschränkter Selbsterfahrung.
Empathie beruht vermutlich auf der Fähigkeit zum spontanen Erfassen der jeweiligen Intentionalität anderer Menschen mit ihren Motiven, Absichten und Zielen. Mittel der Empathie sind Perspektivenübernahme und Gefühlsansteckung. Auch wie bei der Intentionalität gilt für die Fähigkeit zur Empathie, dass sie auf ausreichend Anschaungsmaterial im Umgang mit anderen Menschen angewiesen ist und sich um so besser ausdifferenzieren kann, je mehr eigene Lebenserfahrungen gemacht werden konnten. Jemand, der von sich sagen kann „Mir ist nichts Menschliches fremd.“ hat vermutlich bessere Voraussetzung für Empathie als jemand, der sich nur theoretisch mit Fragen der Ethik beschäftigt hat. Eine beeinträchtigte Empathie kann sich in übermäßig ausgeprägter Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit zeigen und ist meist ein starkes Motiv für Betroffene, höchste Positionen in Staat und Gesellschaft zu erreichen, um von dort aus als Machtmensch die Vorteile der Empathielosigkeit ausspielen zu können. Auf jeden Fall werden Menschen mit eingeschränkter Empathie immer versuchen, sich der Macht über andere Menschen zu versichern, um als Agenten gesellschaftlicher Institutionen als Vorgesetzte andere Menschen legitim quälen zu können. Siehe hierzu auch das Phänomen der Schwarzen Pädagogik. Daraus erklärt sich auch der Sadismus formal hochgebildeter Menschen, im Sinne zB von Hannibal Lecter, oder auch der Problematik von Dostojewskis Romanfigur Raskolnikow, der letztlich daran scheitert, dass er gerade kein vermeintlicher Machtmensch ist, weil er von der Last seines schlechten Gewissens erdrückt wird. Hieraus ergibt sich auch der Zusammenhang von Empathie, Rücksichtnahme und der Chance, sich am eigenen Gewissen zu orientieren. Am gefährlichsten sind Menschen mit beeinträchtigter Empathie, wenn Sie über Aspekte des hypnotischen Magnetismus verfügen und als Charismatiker höhere gesellschaftliche Positionen erobern können.
Bedeutung
Die Bedeutung, sowohl als philosophisches Konzept als auch als psychologisches Bedürfnis, Wahrnehmungen mit Bedeutungen zu verbinden, ist ein wesentlicher Aspekt des menschlichen Lebens. Philosophisch betrachtet, beschäftigt sich der Begriff mit der Frage, wie Wörter, Symbole und Handlungen Sinn und Bezug zur eigenen Lebenswelt erhalten. Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang vor allem Ernst Cassirers (1874-1945) Philosophie der symbolischen Formen, wo Bedeutungen als wesentlicher Aspekt der von Menschen verwendeten Symbole zur Orientierung und Kommunikation angesehen werden.
In der Psychologie wird Bedeutung oft im Zusammenhang mit der menschlichen Motivation und dem Bedürfnis nach einem sinnvollen Leben betrachtet. Viktor Frankl (1905-1997), vertrat die auffassung, dass das Streben nach Bedeutung die primäre Motivation des Menschen ist, für sich einen Sinn im Leben zu finden.
In der Psychotherapie ist die Suche nach Bedeutungen ein zentraler Aspekt vieler therapeutischer Ansätze. Bedeutungen entsprechen dem gefühlshaften Erleben, sich nicht in einer rein dinglichen Welt zu befinden. So empfand der Mensch der Antike das Aufwallen des Meeres als Erfahrung eines sich umherwälzenden Meeresgottes oder ein Gewitter als Manifestation eines zürnenden Wettergottes, aber auch der Wind konnte als Anwesenheit eines willensstarken göttlichen Geistes erlebt werden. Zu Beginn der Säkularisierung seit der Aufklärung gab es in der Romantik starke Bemühungen, in Form von Naturerfahrungen (C.D. Friedrich) oder Musikerlebnissen (R. Wagner) das eigene Leben wieder neu mit quasi-religiösen Bedeutungen aufzuladen. Beispielhaft sei auch erinnert an Eichendorffs Gedicht „Es war als hätt‘ der Himmel die Erde still geküsst …“. Insgesamt kann man sagen, dass Bedeutungen das Erleben von Intentionalität und Empathie enorm verstärken und unabdingbar sind für kreative Leistungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Darüberhinaus sind Bedeutungen aber auch die gefühlshaften Aspekte von Symbolen, mit deren Hilfe Menschen verbal und nonverbal kommunizieren und sich untereinander, aber auch vor allem mit sich selbst im Rahmen eines inneren Dialogs verständigen.
Ist die Fähigkeit eingeschränkt, symbolhaft Bedeutungen zu erleben und zu erfassen, wird auch die Sprachkompetenz eingeschränkt sein und zB der Respekt gegenüber Symbolen, die anderen Menschen viel bedeuten, nicht erlebt werden können. Anstelle von Respekt und Rücksichtnahme wird man bei Betroffenen eher auf Abwertung und Verachtung als Korrelat zu innerer Leere stoßen. Es ist klar, dass historisch ein struktureller Bedeutungsverlust durch eine zunehmende Verdinglichung der Welt droht, wenn alles nur noch unter dem Aspekt von sozialer Hierarchie, Machtausübung, Ausbeutung und Kommerzialisierung betrachtet wird. Ökologische Gegenbewegung imSinne von „Bewahren der Schöpfung“ wirken entsprechend schwach und etwas hilflos, weil eine bedeutungsgebende Anwesenheit eines Gottes in einer säkularen Gesellschaft gar nicht mehr erlebt werden kann. Auch die Steuerung menschlicher Interaktionen im Rahmen von naturwissenschaftlich verstandenen Verhaltensmodifikationen nimmt den handelnen Subjekte zusätzlich die Bedeutung ihres Tuns, wenn alles in Zweck-Mittel-Relationen aufgelöst wird. So zB in Konzepten, die eine Anleitung in 50 Schritten zum perfekten Orgasmus versprechen oder wenn Paarberatung per Flipchart wie ein Nachhilfeunterricht durchgeführt wird. Die inflationäre Nutzung von Smartphones auf der Straße ist auch nur unter der Voraussetzung möglich, dass sich die handelnden Subjekte ihrer Verdinglichung des öffentlichen Raums gar nicht mehr bewusst werden. Insofern sollte man fragen, ob öffentliche Räume nicht auch deshalb zu Orten von Gewaltexzessen werden können, weil dort der Verlust von bedeutungsvoller sozialer Begegnung immer weniger erlebbar wird und aus dieser zunehmenden Frustration eskalierender Hass erwächst.
Die Utopie der Arbeit mit Bedeutungen in der Psychotherapie würde darin bestehen, den Umgang mit bedeutungsvollen Symbolen vor allem im Rahmen einer ausdifferenzierten Verbalisierung des Erlebten immer wieder neu zu verstehen und zu beleben. Wobei es darauf ankäme, unbewusste Zusammenhänge zu erfassen, sinnstiftende Bedeutungen für das eigene Leben zu ermitteln und das Geflecht bedeutungsvoller Symbole im Rahmen eines allgemein zivilisatorischen intersubjektiven Bildungsprozesses und zugleich eines subjektiven Prozesses zur Selbsterfahrung und Selbstvergewisserung zu nutzen.
Zusammenfassung
Intentionalität, Empathie und Bedeutung sind komplexe und vielschichtige Konzepte, die in der Philosophie, Psychologie und Psychotherapie unterschiedliche, aber miteinander verbundene Rollen spielen. Sie bieten ein reichhaltiges Verständnis der menschlichen Erfahrung und sind grundlegend für die Erforschung und Förderung des menschlichen Wohlbefindens insbesondere der Fähigkeit innere und äußere Symbolsysteme aufzubauen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, sich selbst und andere besser zu verstehen. Indem wir diese Begriffe in ihrem interdisziplinären Kontext betrachten, können wir tiefere Einblicke in die Natur des Unbewussten, des Bewusstseins, der sozialen Interaktionen, der Selbsterfahrung und der Suche nach Sinn gewinnen.
Anmerkungen
Zum Konzept der Interpetation bei Freud, Jung und Ricœr
In Freuds Konzept der Interpretation spielt der Begriff der Deutung eine zentrale Rolle. Zum Begriff der Deutung bei Sigmund Freud (1856-1939): Kritisch gegenüber der Psychoanalyse Freuds muss festgehalten werden, dass Freud zu stark auf „die richtige Deutung“ in einem naturwissenschaftlichen Sinne fixiert war. Dies ist Freud auch häufig im Sinne eines Reduktionismus vorgeworfen worden. Ähnlich problematisch ist mE auch die Auffassung C.G.Jungs (1875-1961) zu sehen, Symbole wieder stärker archaisierend religiös interpretierend im Sinne von Archetypen aufzufassen. Diese Transformation der Psychotherapie in Religionsphilosophie ist mindestens genauso problematisch, wie Freuds Versuche, an einem naturwissenschaftlichen Paradigma festzuhalten. Ergänzend hierzu sollte der Versuch von Paul Ricœr (1913-2005) erwähnt werden, die Psychoanalyse unter Bezugnahme auf Ernst Cassirer (1874-1945) als interpretierende Kulturwissenschaft neu zu begründen.
Intentionalität bei Karl Jaspers
Das Konzept der Intentionalität spielte auch eine zentrale Rolle in der Psychopathologie und Philosophie von Karl Jaspers (1883-1969). Es ist ein grundlegender Begriff, der insbesondere im Kontext des Verstehens von psychischen Erkrankungen und dem menschlichen Bewusstsein von Bedeutung ist. In der Psychopathologie bezieht sich Intentionalität auf die gerichtete Natur des Mentalen – das Bewusstsein, insofern es mit bewusst gewordenen Intentionen ausgefüllt ist, ist immer auf etwas gerichtet, sei es ein Objekt, ein Gedanke, eine Emotion oder eine Erinnerung. Für Jaspers war das Verständnis der Intentionalität entscheidend, um die subjektive Erlebniswelt von Patienten zu erfassen. Jaspers entwickelte eine Existenzphilosophie, in der das individuelle Dasein und die Selbsttranszendenz zentrale Themen sind. Die Intentionalität des Bewusstseins wird hier als grundlegendes Merkmal des menschlichen Seins betrachtet, das es dem Individuum ermöglicht, über sich selbst hinauszugehen und Sinn in der Welt zu finden.
Bedeutungswandel des Begriffs der Intentionalität von Brentano zu Husserl
Der Begriff der Intentionalität hat sich von Brentano zu Husserl signifikant weiterentwickelt und differenziert. Hier sind die Hauptunterschiede und Entwicklungen im Überblick:
Zur Auffassung von Franz Brentano
Brentano folgt einer bewusstseinspsychologischen Perspektive: Er führt den Begriff der Intentionalität in seiner Arbeit „Psychologie vom Empirischen Standpunkt“ (1874) ein.
Intentionalität beschreibt das Phänomen, dass alle psychischen Phänomene (Bewusstseinsakte) sich auf ein Objekt richten. Diese „Gerichtetheit“ ist charakteristisch für psychische Akte im Gegensatz zu physischen Phänomenen.
Ein Akt des Bewusstseins beinhaltet immer ein „Intentionalobjekt“, das nicht notwendigerweise existieren muss (z.B. ein Einhorn).
Er unterscheidetzwischen intentionalen psychischen und nicht-intentionalen physischen Phänomenen:
Jedes psychische Phänomen ist durch seine Intentionalität gekennzeichnet, während physische Phänomene keine solche Gerichtetheit aufweisen.
Zur Auffassung von Edmund Husserl
Husserl übernimmt und erweitert Brentanos Konzept der Intentionalität in seinem eigenen phänomenologischen Ansatz.
Für Husserl ist Intentionalität ein zentrales Konzept seiner phänomenologischen Methode, bei der es darum geht, die Strukturen des Bewusstseins und seiner Akte zu analysieren.
Noema und Noesis:
Husserl differenziert zwischen dem noetischen (bewusstseinsaktbezogenen) und dem noematischen (bewusstseinsinhaltsbezogenen) Aspekt eines intentionalen Aktes.
Noesis bezeichnet den Akt des Bewusstseins (z.B. das Wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern), während Noema das intentionale Objekt oder der Inhalt dieses Aktes ist, so wie es im Bewusstsein erscheint.
Reduktion und Epoché:
Husserl entwickelt die Methode der phänomenologischen Reduktion, bei der die natürliche Einstellung und die Existenzannahmen der Welt ausgeklammert werden (Epoché), um die reine Erfahrung des Bewusstseins zu analysieren.
Diese Methode ermöglicht eine detaillierte Analyse der intentionalen Strukturen und deren Inhalte, ohne sich auf die tatsächliche Existenz der intentionalen Objekte zu beziehen. Es wird al so zwischen Denkakten und Denkinhalten unterschieden. Es wird nicht nach dem Inhalt einer Bedeutung gefragt, sondern mehr wie Bedeutung überhaupt sich an Denkinhalte heften kann.
Horizonte der Intentionalität:
Husserl führt das Konzept der „Horizonte“ ein, das die kontextuelle Einbettung jeder Intentionalität beschreibt. Jeder Bewusstseinsakt hat einen inneren und äußeren Horizont, der die Bedeutungs- und Erfahrungszusammenhänge umfasst, in denen das intentionale Objekt erscheint.
Vergleich und Bedeutungswandel
Gerichtetheit vs. Struktur:
Bei Brentano liegt der Fokus auf der grundlegenden Eigenschaft der Gerichtetheit psychischer Akte.
Husserl erweitert diesen Begriff, indem er die komplexen Strukturen und kontextuellen Zusammenhänge der Intentionalität analysiert.
Psychologie vs. Phänomenologie:
Brentanos Ansatz ist hauptsächlich psychologisch und empirisch.
Husserl entwickelt eine transzendentale Phänomenologie, die die Bedingungen der Möglichkeit von Bewusstsein und Intentionalität untersucht.
Intentionalität als Methode:
Husserl macht Intentionalität nicht nur zu einem Phänomen, das beschrieben wird, sondern zu einer methodischen Grundlage der phänomenologischen Analyse.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Husserl den Begriff der Intentionalität von Brentano aufgreift und zu einem zentralen Bestandteil seiner phänomenologischen Methode macht, indem er die komplexen Strukturen und kontextuellen Dimensionen des Bewusstseins detailliert analysiert und beschreibt.
Zum Konzept der intentionalen Störung
Das Konzept der Intentionalen Störung wurde u.a. von dem britischen Psychoanalytiker David H. Malan (1922-2020) entwickelt. Malan war ein bedeutender Vertreter der psychoanalytischen Kurzzeittherapie und hat das Konzept der intentionalen Störung im Rahmen seiner Arbeiten zur psychodynamischen Therapie formuliert. Er betonte die Bedeutung des bewussten Erlebens und Verstehens unbewusster Konflikte und die Rolle, die diese Konflikte bei der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen spielen.
Im deutschsprachigen Raum wurde das Konzept der Intentionalen Störung insbesondere von Rolf Verres (geb. 1948) vertreten. Rolf Verres ist ein deutscher Psychiater, Psychoanalytiker und Musiktherapeut, der in seinen Arbeiten die Rolle von bewussten und unbewussten Absichten und Motiven in der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen betonte. Verres hat das Konzept der Intentionalen Störung weiterentwickelt und angewendet, um besser zu verstehen, wie psychische Störungen durch innere Konflikte und bewusste sowie unbewusste Absichten beeinflusst werden.
Das Konzept der Intentionalen Störung und das Konzept der Schizoidie stehen in einem theoretischen und klinischen Zusammenhang, da beide Konzepte versuchen, tiefere psychodynamische Mechanismen und innere Konflikte zu verstehen, die zu psychischen Störungen führen können. Während das Konzept der Intentionalen Störung allgemeiner ist und sich auf eine breite Palette von psychischen Störungen anwenden lässt, ist Schizoidie spezifisch auf eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur und deren charakteristische Abwehrmechanismen fokussiert.