Let’s go East! Also kein Scherz, dieser Western unter der Regie von Valeska Grisebach spielt im fernen Süd-Osten der EU. Gelegentlich auftauchende verblasste kyrillische Buchstaben an den Fassaden verweisen darauf, dass das Partnerland der NATO, Russland, mit seiner ukrainischen Einflusssphäre, nicht mehr weit ist.
Der halbdokumentarisch angelegte Männerfilm, angesehen in einem der neuen überschaubaren Wohnzimmer-Kinos von delphi lux, spielt in einem bulgarischen Grenzdorf zu Griechenland. Die Cowboys werden dargestellt von einem Bautrupp aus Berlin und die Indianer von einheimischen Dorfbewohnern. Die Überbetonung der nationalen Zugehörigkeit (Pigor) wird versinnbildlicht durch das Hissen der schwarz-rot-goldenen Fahne. Auch hier kommt niemand darauf, die EU-Fahne zu verwenden. Beim Plot läuft es erstmal auf Seiten der mehr oder weniger stoffeligen deutschen Männer auf ein good-guy versus bad-guy Schema hinaus.
Vincent, der Chef der Bautruppe, ist ein grobschlächtiger Prolet, der es entwicklungspsychologisch nicht über mädchendöppen im Dorfteich hinaus gebracht hat. Bei Konflikten innerhalb seiner Truppe verpasst er gerne mal Prügel oder droht sie zumindest an. Im Kontrast wird Meinhard als Antagonist dargestellt, der scheinbar feinfühlig mit einem frei umherlaufenden Stutenpony Kontakt aufnimmt. Auch bei der Dorfbevölkerung kann er nach und nach Boden gut machen. Sobald er sich in Konflikte verstrickt, wird mehr und mehr deutlich, dass er in zugespitzten Situationen genauso brutal vorgeht wie sein Chef Vincent. Nur da, wo es auf die brutale Tour keinen Sinn macht, hat er die Gabe, sich empathisch einzuschleimen, insbesondere bei der jungen Dorfschönheit Veneta, die seiner Schleimerei nach gibt und sich ihm auf der Wiese öffnet – Volltreffer. Insbesondere aber auch seine Schleimerei gegenüber dem informellen Dorfkönig Adrian ist aufschlussreich. Dieser ist der Besitzer des schönen Stutenponys, das Meinhard gerne reitet, aber auch eine mächtige Figur im Dorf.
Als es zwischen Adrian und einem rivalisierenden Mafiaboss zu einem Handgemenge kommt, will Meinhard seinen Freund verteidigen und den Rivalen mit einem Gewehr erschießen, obwohl er gar nicht versteht, um was es eigentlich geht. Von Adrian beruhigt, stößt er schließlich hervor: „Niemand darf Dich anfassen.“ Dem psychoanalytisch vorgebildeten Kinobesucher dämmert es jetzt langsam. Ach so, hier geht es also um latente Homosexualität. Nur Meinhard dürfte Adrian wohl anfassen, sonst aber niemand. In einem Gespräch mit Adrian spricht er rührselig von seinem verstorben Bruder. Dabei gibt er dann auch noch seine Philosophie zum Besten: „Auf unserem Planeten geht es um fressen und gefressen werden.“ Sein Angebot: Die Starken wie er selbst und Adrian können sich zusammentun, weil sie stark sind. Die Figur von Meinhard ist, wenn man will, post- oder schon wieder präfaschistoid angelegt.
Es geht im Grunde in diesem Film um den Hitler in uns, von dem bekannt ist, dass er in privaten Situationen auch sehr schleimerisch, gewinnend reden konnte und für den die verstorbenen Geschwister auch die Blaupause abgaben für das Überleben von ihm selbst, dem vermeintlich Stärkeren. So wie in unzähligen Nazi-Filmen das Sensible, Schwache in Gestalt der Frau sterben musste, sprichwörtlich noch bis heute Christina Söderbaum als Reichswasserleiche, so wird in Western 2017 das Sensible, Schwache, Weibliche in Gestalt des Stutenponys geopfert. Der feinfühlige Meinhard fühlt sich dazu berufen, es durch einen Gewehrschuss von seinen Qualen zu erlösen, weil Adrian, sein Besitzer emotional zu mitgenommen ist, um den Schuss selbst abzufeuern.
Wir verstehen an dieser Stelle wieder, ach so, der Tod ist ja ein Meister aus Deutschland (Celan), fast vergessen. Ja, so schließt sich dann der Kreis. Beim Verlassen des Kinos war Übelkeit nur zu unterdrücken durch intensive Konzentration auf das bildschöne Pony. Brauchen wir mehr solche Filme? Ich würde sagen: Ja, aber nur unter einer Bedingung. Dass wir beim Anschauen immer an das Zitat von Max Liebermann denken, der angesichts aufmarschierender SA-Horden gesagt haben soll: „Ich kann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen möchte.“
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