Die neuen – ab April 2017 in der ersten Stufe in Kraft getretenen –Psychotherapierichtlinien scheinen Fortschritte in der Versorgung im Bereich der ambulanten Psychotherapie für Patienten zu bringen.
Es gibt jetzt eine Akutbehandlung für Patienten, die dringend eine Krisenintervention benötigen und bürokratische Hemmnisse im Bereich der Langzeittherapien sind beseitigt worden. Dennoch ist unterm Strich die Versorgungslage vollumfänglich nicht wirklich besser geworden.
Fest steht – trotz aller Beteuerungen durch die gesetzlichen Krankenkassen – dass immer noch zu wenig Plätze bei Kassentherapeuten zu Verfügung stehen.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Viele der zugelassen Therapeuten sind weiblichen Geschlechts und bereits im Rentenalter oder nahe am Rentenalter.
Dass sie auch im Alter weiter arbeiten, hat seinen Grund darin, dass der Psychotherapeutenkammer von der Politik kein Versorgungswerk zugestanden wurde so wie das bei anderen Kammern von Ärzten, Rechtsanwälten etc. der Fall ist. Diese betroffenen älteren Therapeuten beziehen teilweise schon aus früherer Berufstätigkeit eine gesetzliche Minirente oder sind durch Familienangehörige oder private Vorsorge teilweise abgesichert. Sie arbeiten also in ihrer Praxis noch etwas zusätzlich aber meist nicht mehr mit voller Stundenauslastung. Hinzu kommt: Viele von Ihnen arbeiten auch in der Ausbildung von jungen Therapeuten, führen Lehrtherapien oder Supervision durch. Zudem behandeln sie auch Selbstzahler und Beihilfeberechtigte bzw. privatversicherte Patienten. Das alles machen sie nicht in ihrer Freizeit sondern zum großen Teil in ihrer regulären Arbeitszeit, die für die Versorgung der gesetzlich Versicherten dann nicht mehr zur Verfügung steht. Das Problem dabei ist: Es gibt über diese Zusammenhänge keine verlässlichen Zahlen. Alles beruht nur auf Mutmaßungen. Aber dennoch existieren diese Faktoren. Die Rechnung, dass bei einigen Tausend Psychotherapeuten in Berlin rein rechnerisch einige zehntausend gesetzlich Versicherte sicher versorgt sein müssten, ist leider eine Gleichung mit vielen Unbekannten, bei denen die meisten Faktoren in ihrer Größenordnung kaum sicher eingeschätzt werden können.
Dieses Restrisiko für den einzelnen gesetzlich Versicherten, bei dem Ergattern eines Therapieplatzes leer auszugehen, wurde in früherer Zeit von einigen Krankenkassen durch die Unterstützung des Kostenerstattungsverfahrens abgemildert.
Durch die Einführung der neuen Psychotherapierichtlinien wurden jetzt im Aüril 2017 Voraussetzungen geschaffen, um diese Kompensation zumindest auf dem Papier überflüssig erscheinen zu lassen.
Als Beispiel möchte ich in diesem Zusammenhang die neu eingeführte Akutbehandlung mit 24 X 25 Minuten Akutbehandlung/Krisenintervention nennen.
Es handelt sich hierbei um eine Interventionsform, die im wesentlichen zum Ziel hat, eine oberflächliche Stabilisierung von Patienten in Krisensituationen eine weitere Verschlimmerung der aufgetreten Erkrankung, eine drohende vollstationäre Behandlung abzuwenden und die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Eine an Ursachen orientierte Psychotherapie ist dabei ausgeschlossen und nicht beabsichtigt.
Problematisch an dieser Maßnahme ist, dass Patienten, die im Anschluss an eine Akutbehandlung eine reguläre Psychotherapie benötigen und aus fachlicher Sicht auch machen sollten, dies nur noch im Rahmen der kassentherapeutischen Versorgung tun können. Wenn Patienten dann im Anschluss an eine Akutbehandlung keinen Kassentherapeuten finden können und sie Anträge auf außervertragliche Leistungen bei ihren Krankenkassen eingereicht werden, ist zu erwarten, dass der begutachtende MDK (Medizinische Dienst der Krankenkassen) diese Anträge dann ablehnt, weil die Patienten aufgrund der Akutbehandlung als versorgt gelten und ihnen deshalb anschließend zugemutet werden wird, jahrelang auf einen Therapieplatz bei einem Kassentherapeuten zu warten.
Die Akutbehandlung ist also letztlich das Feigenblatt von endlosen Wartelisten. Anstelle einer regulären Psychotherapie bekommen Patienten, wenn sie bei der Plätzevergabe in Kassenpraxen leer ausgehen, dann immer wieder nur Akutbehandlungen. Im stationären Bereich würde man das „Drehtürpsychiatrie“ nennen. Für den ambulanten Bereich wäre ein entsprechender Begriff noch zu finden.
Wieso sind diese Entwicklungen ein Einstieg in eine Zweiklassen-Gesundheitsversorgung? In meiner Privatpraxis melden sich in den letzten Monaten immer mehr Patienten, die zermürbt sind von den bürokratischen Hürden, die vor ihnen von den gesetzlichen Krankenkassen aufgerichtet werden. Von den Patienten, die früher eine Kostenerstattung in Anspruch genommen nahmen, kommt jetzt immer häufiger die Aussagen: „Wenn das alles so schwierig ist, dann zahle ich das eben selbst.“
So werden aus ehemaligen Kostenerstattungspatienten unversehens Selbstzahler und die Krankenkassen wird es vermutlich freuen, diesen Artikel zu lesen. Es sollte aber dennoch klar sein, dass diese Lösung nur für diejenigen tragbar ist, die über genügend finanzielle Ressourcen verfügen oder die noch von den Eltern unterstützt werden können. Bei gesetzlich Versicherten, die sich eine privatfinanzierte Psychotherapie nicht leisten können, bleibt dann nur, entweder bei der Verteilung von Psychotherapieplätzen in einer Kassenpraxis Glück zu haben oder aber sich mit Drehtür-Kriseninterventionen durchzuschlagen. Das ist m.E. der Einstieg in die Zweiklassen-Gesundheitsversorgung zumindest im Bereich der Psychotherapie von gesetzlich Versicherten.