Dostojewski – Der Spieler

Das Beispiel einer männlichen Verwilderung.

Das Abgleiten in heutige Varianten von Glücksspiel, Pornosucht, Sexsucht, Videospielexzessen etc. scheinen typisch männliche Formen eines sozialen Rückzugs nach schweren Enttäuschungen mit Merkmalen von Verwilderung und Abenteurertum bis hin zum sozialen Suizid zu sein.

Weiterhin sind in diesem Zusammenhang auch verbotene Formen von Pornographie (z.B. mit pädophilen oder hebephilen Darstellungen), morbide Todessehnsucht (Goethes Werther, Rilkes Totengräber) und suchthafter Eskapismus z.B. in Form von Rückzug in Fantasy-Welten oder okkulte Bruderschaften zu nennen.

Von besonderer Bedeutung hat dabei für mich aus psychologischer Sicht, inwiefern die masochistische Unterwerfung der Protagonisten unter die Willkür der Glücksgöttin Fortuna einhergeht mit einer weitgehenden Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst und anderen.

Dostojewski schildert in seinem Roman der Spieler (veröffentlilcht 1866) Anatomie, Genese und Dynamiken der Spielsucht. Diese soll hier als Paradigma einer nicht sustanzmittelgebundenen Form von Abhängigkeit betrachtet werden.

Der Ich-Erzähler und Protagonist Alexej beobachtet zunächst aus seiner Perspektive eines Hofmeisters (Hauslehrers) distanziert das Treiben seiner Herrschaften rund um die Spielbank in Roulettenburg (vermutlich ist Wiesbaden gemeint).

Sein Arbeitgeber, ein schon pensionierter russischer General, ist pleite und kann seinen aufwändigen Lebensstil nur aufrechterhalten, weil er sein beträchtliches Vermögen einem zwielichtigen Franzosen verpfändet hat. Später kommt heraus, dass auch die Stieftochter des Generals, die noch sehr junge Polina, bei diesem Menschen verschuldet ist und sich nichts sehnlicher wünscht als sich aus dieser Schuld und damit auch Abhängigkeit von dem Franzosen zu befreien. Aufgrund der Lebensumstände der Personen kann vermutet werden, dass sie alle aufgrund von Spielschulden in die Schuldabhängigkeit geraten sind. Die einzige Hoffnung, diesen Abhängigkeiten zu entkommen ist der vermeintlich kurz bevorstehende Tod einer sehr vermögenden Erbtante des Generals.

Bevor jedoch Aufklärung erreicht werden kann, ob die Hoffnungen auf Erlösung sich erfüllen werden, schildert der Protagonist Alexej die verschiedenen Typen von Glücksspielern. Hier imponieren vor allem ein Herr, der völlig rauschhaft und ungesteuert beim Roulette setzt und eine Dame, die sehr diszipliniert nur für begrenzte Zeit spielt und jedes Mal, wenn sie einen bestimmten Betrag gewonnen hat, den Spieltisch verlässt.

Im Fokus von Alexej steht zunächst nicht das Glücksspiel, sondern seine abgöttische Liebe zu Polina, der er sich zu Zwecken eines Liebesbeweise seine masochistische Unterwerfung anbietet. Sie lacht ihn dafür nur aus, lässt es sich aber gefallen, dass er sich und seinen Arbeitgeber zu ihrer Belustigung kompromittiert, indem er einer älteren Dame eine zweideutig Geste macht und daraufhin den Zorn dieser Dame und ihres Ehemannes auf sich zieht. Alexej gerät dadurch stark unter Druck, verliert seine Anstellung und befindet sich schon bald in einer etwas prekären Lage was seine zukünftigen Einnahmen angeht.

Die Situation spitzt sich weiter zu, als plötzlich die herrische und exzentrische Erbtante angereist kommt und innerhalb weniger Stunden ihr beträchtliches Barvermögen verspielt. Es wird sehr lebensnah geschildert wie aus einer Kombination aus Anfängerglück, Herrschsucht und dem Zwang, Verluste unbedingt wieder ausgleichen zu müssen, das Verhängnis unausweichlich wird.

Mit einem Schlage sind die Hoffnungen des Generals, aber auch Polinas, jemals aus der Schuldenfalle herauszukommen zerborsten. In ihrer Not offenbart Polina sich Alexej und gesteht ihm ihre Abhängigkeit von dem Franzosen aufgrund ihrer Verschuldung. Alexej beschließt daraufhin, sein Glück im Spiel zu probieren, um Polina die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Schulden zurückzuzahlen. Der Plan misslingt jedoch. Zwar gewinnt er einen größeren Betrag aber Polina kann das Geld nicht annehmen, weil sie realisiert, dass sie sich nur von einer Abhängigkeit in eine andere begeben würde. Völlig verwirrt läuft sie davon und läßt auch Alexej ratlos zurück. Wie benommen lässt er sich dann von Blanche, der ehemaligen Geliebten des Generals, als deren Sponsor vereinnahmen. Für ein paar Wochen in Saus und Braus in Paris, die ihm versprochen werden, soll er ihr alles Geld aushändigen, was er auch willenlos tut, weil er aufgrund der unverstanden Konfusion in der Beziehung zu Polina jegliche Planungs- und Gestaltungskraft für sein eigenes Leben verloren hat.

Nebenbei bemerkt, wird als Gegenmodell zu den innerlich zerrissenen und charakterschwachen Russen die Französin Blanche geschildert, die skrupellos und frei von Schuldgefühlen alle materiellen Güter zusammenrafft, ihre Stellung in der Gesellschaft verbessern kann und auch nichts wieder aufs Spiel setzt.

Von Blanche bekommt Alexej den Auftrag, sobald das erste Geld verbraucht sein wird, erneut einen größeren Geldbetrag im Glücksspiel zu beschaffen. Willenlos folgt er dieser Aufforderung. Dies misslingt jedoch, weil man vom Glücksspiel tatsächlich nicht leben und schon gar keinen Mehrwert in Form von Reichtümern aufbauen kann. Über einen längeren Zeitraum versucht er verzweifelt mit kleinen und kleinsten Beiträgen nochmals im Glücksspiel erfolgreich zu sein, zwar vergeblich aber ohne noch die Kraft zu haben, sich aus diesem Tunnelblick der irrealen Erwartungen zu lösen.

In desolater Verfassung wird er schließlich von einem früheren Freund, und wie sich herausstellt Abgesandten Polinas, angetroffen, der ihm mitteilt, sähe inzwischen völlig verwildert aus und dabei habe Polina ihn doch die ganze Zeit geliebt und auf ihn gewartet. Am Ende des Romans bleibt offen, ob Alexej sich aus seiner Spielsucht und seiner verwilderten Männlichkeit noch einmal wird befreien können und einen erneuten Versuch machen wird, mit Polina Kontakt aufzunehmen, um ihre Liebe zu erneuern.

Zu Beginn finden sich die ökonomische Abhängigkeit Alexejs in seiner fragilen Existenz als Hofmeister und seine emotional fragile Abhängigkeit von der abgöttisch verehrten Polina für die er bereit ist, alles zu opfern. Nachdem Polina seine Opferbereitschaft zurückgewiesen hat und Alexej sich willenlos in die ausbeuterische und entehrende Abhängigkeit zu Blanche begeben hat, ist er von Hörigkeit geleitet. Die Spielsucht ist mithin zu verstehen als Reaktion auf seine traumatisierenden Enttäuschungen mit dem Ziel eines, wennauch letztlich misslungenen, Selbstheilungsversuchs durch Rückzug in eine in eine leeren Festung, einer Restform von Autonomie. Er lebt emotional verroht, vom Aussehen her verwildert wie ein lebend Toter.

So trifft ihn der Gesandte Polinas an. In anderen bedeutenden Romanen wie Schuld und Sühne oder Karamasow hat Dostojewski die Rückkehr in die Menschlichkeit, die Erlösung aus der tragischen Isolation durch erneute Hinwendung zu den Mitmenschen angedeutet. Im Roman der Spieler, bleibt der Schluss offen. Wir wissen nur, dass Dostojewski selbst etwa zehn Jahre mit seiner Spielsucht gelebt hat, bevor es ihm gelang, sich davon zu distanzieren.

Von Betroffenen wird die Zeit in der Abhängigkeit oft wie eine lange Lücke im Lebenslauf empfunden, entsprechend schwierig gestaltet sich in der Regel ein Neuanfang, weil konstruktive Anknüpfungspunkte, je länger die Verwilderung andauert, immer schwächer werden und therapeutische Bemühungen bzw. Selbstheilungskräfte auf nahezu unüberwindbare Widerstände stoßen, frische Wurzeln auszutreiben und neue Bodenhaftung zu begründen.

Mir geht es ausdrücklich nicht um eine philisterhafte, verächtliche Pathologisierung der geschilderten Verwilderung. Vielmehr möchte ich gerade darin, ohne zu idealisieren, eine Form des männlichen Protestes sehen und eine ultimative Reaktion auf existenzielle Enttäuschungen von sehr empfindsamen und begeisterungsfähigen Naturen, die einen letzten Kampf um ihre persönliche Freiheit und Autonomie wagen. Allerdings sind die eingesetzten Mittel fatal und die Ziele unrealistisch.

Letztlich kann es nur so etwas wie einen geordneten Rückzug geben, um einen Weg zurück in Zivilisation, zur eigenen Persönlichkeitsbildung und aufrichtiger Mitmenschlichkeit zu finden. Die zwischenzeitliche Verwilderung kann zwar das Existenzerlebnis eindrucksvoll vertiefen und wie jedes Abenteuer den Horizont erweitern, aber sie darf kein Dauerzustand werden, weil sonst Selbstverlust und symbiotische Verschmelzung mit der Glücksgöttin Fortuna droht, die eben leider nicht im Glück sondern in Unglück und Unfreiheit endet.

Bitte lesen Sie auch meine thematisch angrenzenden Artikel über Pädophilie, Wohlstandsverwahrlosung und Sektenausstieg.

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