Einleitung
Rücksichtsvoller Sadismus, das sadistische Handeln angeblich rücksichtloser Menschen, ist ein paradoxes Verhalten, bei dem eine Person Handlungen ausführt, die anderen schaden oder unangenehm sind, aber dabei glaubt, dass sie vermeintlich rücksichtsvoll oder ethisch richtig und legitim handelt.
Beispiele für latenten Sadismus bei vordergründig rücksichtsvollen Menschen
Strenge Erziehung, schwarze Pädagogik
Ein Elternteil oder Lehrer, der extrem strenge Disziplin anwendet, kann dies als notwendige Maßnahme betrachten, um das Kind zu „formen“ oder „auf den richtigen Weg zu bringen“. Obwohl diese Person glaubt, das Beste für das Kind zu tun, können ihre Methoden sadistisch sein, weil sie psychischen oder physischen Schaden zufügen. Beispiele hierfür können Glaubenssätze der schwarzen Pädagogik sein, wie: “Du darfst dein Kind niemals loben, sonst wird es nachlässig.”
Sadismus am Arbeitsplatz, kontingenter Führungsstil
Ein Chef, der seine Mitarbeiter mit übermäßigem Druck, ständig wechselnden Regeln und übertriebener Kontrolle behandelt, könnte dies hinsichtlich der Rücksichtnahme auf betriebswirtschaftliche Ziele als notwendige Maßnahme rechtfertigen, um die Produktivität und den Umsatz zu steigern. Er könnte glauben, dass dies die einzige Möglichkeit ist, hohe Standards zu halten, während die Mitarbeiter unter Stress, Angst, psychosomatischen Beschwerden und Unzufriedenheit leiden.
Moralische Überlegenheit gegenüber “alten weissen Männern” oder “Cis-Personen”
Jemand, der andere ständig wegen ihrer vermeintlich unmoralischen oder unethischen Verhaltensweisen kritisiert, könnte dies mit der Überzeugung tun, dass er oder sie versucht, die Gesellschaft zu verbessern. Diese Person empfindet ihre Ressentiments und verurteilenden Handlungen als gerechtfertigt, ohne zu erkennen, dass sie damit andere herabsetzt und sich sadistisch verhält.
Perfektionismus und Kontrollbedürfnis in Beziehungen
Ein Partner, der auf Perfektion besteht und den anderen ständig kritisiert oder kontrolliert, könnte glauben, dass er dies aus Liebe tut, um den anderen zu „verbessern“ und ihm zu helfen. Diese Person könnte denken, dass sie rücksichtsvoll handelt, indem sie hohe Standards setzt, während sie tatsächlich durch ständige Kritik und Kontrolle den anderen emotional verunsichert.
Politische oder religiöse Eiferer, Weltverbesserer
Personen, die andere für ihre politischen oder religiösen Überzeugungen herabsetzen oder drangsalieren, könnten dies als notwendigen „Kampf für die gute Sache“ betrachten. Sie halten ihre sadistischen Handlungen für gerechtfertigt, weil sie glauben, dass sie im Dienst einer höheren Moral oder eines höheren Ziels handeln.
Zusammenfassung
In all diesen Beispielen rechtfertigt die betreffende Person ihr schädliches Verhalten durch einen vermeintlich höheren Zweck oder eine „gute Absicht“, wodurch sie den sadistischen Aspekt ihrer Handlungen nicht erkennt oder verdrängt.
Inwiefern können auch Psychotherapeuten unter diese Kategorie fallen?
Manche Psychotherapeuten könnten unter die Kategorie „rücksichtsvoller Sadisten“ fallen, wenn sie latent sadistisch sind bei vordergründig rücksichtsvollem Selbstbild und dabei Methoden anwenden, die für den Patienten irritierend oder belastend sind, und diese Methoden aber als notwendig oder hilfreich betrachten. Hier sind einige Beispiele:
Konfrontative Methoden, die Widerstände aufbrechen sollen
Manche Therapeuten setzen bewusst auf sehr konfrontative Methoden, um den Patienten mit seinen tiefsten Ängsten oder Problemen zu konfrontieren. Obwohl sie glauben, dass diese Konfrontation notwendig ist, um Fortschritte zu erzielen, kann dies für den Patienten extrem schmerzhaft und traumatisierend sein. Der Therapeut könnte dabei seine Machtposition ausnutzen und nicht ausreichend berücksichtigen, wie stark der Patient darunter leidet.
Unnachvollziehbare, unvermittelte Deutungen oder Bewertungen
Einige Therapeuten neigen dazu, bestimmte Äußerungen oder beliebiges Verhalten ihres Patienten übermäßig zu analysieren und zu interpretieren, oft auf eine Weise, die den Patienten stark herausfordert und verunsichert. Deutungen werden im hämischen Tonfall oder auf verächtliche Weise gegeben, Der Therapeut könnte überzeugt sein, dass seine Sicht der Dinge, intellektuell verpackt, als die vermeintlich “richtige Deutung”, wichtig ist, um dem Patienten zu helfen, während der Patient sich missverstanden, manipuliert oder sogar psychisch manipuliert fühlt.
Rigidität in der Methodik
Therapeuten, die auf starren therapeutischen Ansätzen bestehen, z.B. auf dem Sitzen hinter der Coach in der klassischen Psychoanalyse, unabhängig davon, wie der Patient darauf reagiert, könnten ebenfalls als rücksichtsvoll-sadistisch betrachtet werden. Sie sind überzeugt, dass ihr Ansatz der einzig richtige ist, und ignorieren oder minimieren dabei das Leiden des Patienten, wenn dieser nicht auf die Methode anspricht oder sich dabei unwohl fühlt.
Emotionale Distanz durch einen schweigenden Therapeuten
Einige Therapeuten halten eine extreme emotionale Distanz zu ihren Patienten aufrecht, die sie als professionelle Notwendigkeit sehen. Z.B. kann es vorkommen, dass Therapeuten bestimmter analytischer Richtungen nie etwas sagen und immer nur zuhören aus vermeintlicher Rücksichtnahme, weil sie den Patienten angeblich nicht manipulieren wollen. Diese schweigende Distanz kann jedoch vom Patienten als kalt oder abweisend empfunden werden, was zusätzliche emotionale Belastungen und Irritationen verursachen kann. Der Therapeut könnte glauben, dass diese schweigende Distanz notwendig ist, um objektiv zu bleiben, während er die emotionalen Verwirrung, die dieses Verhalten beim Patienten hervorruft, ignoriert.
Unangemessene Therapieziele
Therapeuten, die den Patienten stark in eine bestimmte Richtung drängen, die den Vorstellungen des Therapeuten entspricht, aber nicht den Wünschen oder Bedürfnissen des Patienten, könnten ebenfalls in diese Kategorie fallen. Z.B. könnte ein Therapeut glauben, dass es für alle Menschen gut ist, eigene Kinder zu haben, obwohl dies nicht den Lebenszielen des Patienten entspricht. Sie könnten glauben, dass sie wissen, was das vermeintlich Beste für den Patienten ist, und dabei dessen Autonomie und individuelle Bedürfnisse missachten.
Zusammenfassung
In all diesen Fällen handelt der Therapeut möglicherweise in dem Glauben, dass er Rücksicht nimmt auf professionelle Standard, während er in Wirklichkeit den Patienten emotional stark belastet. Diese Art von „wohlwollendem“ Sadismus ist besonders problematisch, weil das latent sadistische der eignen Position nicht mehr diskursfähig ist und sich in einer wohldurchdachten professionellen Haltung manifestiert, das sich immunisiert hat gegen Bedenken hinsichtlich eines zu unflexiblen Vorgehens.
Psychotherapiepraxis in Berlin, Wolfgang Albrecht